Gegen das Vergessen

Wieder ein Jahr liegt hinter uns. Ohne Viktoria. Heute ist ihr vierter Geburtstag – zwei Jahre nachdem sie zu den Sternen reiste.

Wir haben keine große Feier geplant. Es werden keine Kinder zu uns kommen und mit ihr durch das Haus toben. Es bleibt relativ ruhig. Schade. Ute hat ein paar Muffins gebacken und wir denken mit Elaine gemeinsam an Viktoria. Auch ihre kleine Schwester hatte vor kurzem Geburtstag, jedoch ist sie mit einem Jahr noch zu klein, um zu verstehen, daß sie eine große Schwester hat, die sie nie kennenlernen wird.

Ich spüre, wie das Thema Viktoria ein wenig in der Versenkung verschwunden ist. Nicht nur in unserem Umfeld, wo das natürlich verständlich ist, sondern auch bei uns selbst. Zwar vergeht noch immer kein Tag, an dem wir nicht an ihr strahlendes Wesen denken. Jedoch, es hat deutlich nachgelassen – und wurde über die Zeit immer seltener und seltener, immer weniger und weniger. Unsere Gedanken und auch unsere Gespräche streifen Viktoria nur noch kurz und enteilen dann schnell wieder woanders hin. Gespräche mit anderen über Viktoria gibt es beinahe überhaupt nicht mehr. Haben die Menschen Viktoria vergessen? Oder meiden sie uns gegenüber dieses Thema aus Angst, sie könnten uns verletzen? Ich weiß es nicht.

Und ist das denn schlimm? Nein, nicht wirklich. Aber es ist schade. Verdammt schade. Vor zwei Jahren wurden wir von Viktorias Tod daran erinnert, was wirklich im Leben zählt, worum es hier wirklich geht. Ich konnte das fühlen! Ich fühlte mich aufgerüttelt, beschenkt, geerdet – dankbar. Ja, dankbar für ihre Botschaft! Nun muß ich diese Zeilen schreiben, um dasselbe Gefühl wieder in mir wachzurufen. Im Alltag ist das irgendwie verlorengegangen. Meine Aufmerksamkeit ist ständig auf die profanen Dinge des Lebens gerichtet: das tägliche Brötchenverdienen, Arbeit rund ums Haus, Ärger mit Handwerkern und momentan natürlich auch Fußball (es war aber auch ein geiles Spiel gestern gegen Brasilien :)). Wenigstens Elaine schafft es abends und am Wochenende, mich immer wieder daran zu erinnern, daß die Zeit, die ich mit ihr verbringen darf keine Vergeudung ist (man könnte ja auch etwas werkeln, es gibt viel zu tun). Sondern daß genau die gemeinsam mit ihren Kindern verbrachte Zeit das größte Geschenk für Eltern darstellt. Es ist eine wahre Freude, ihr dabei zuzusehen, wie sie sich entwickelt.

Und doch fühle ich mich, als würde ich etwas vergessen – so als würde Viktoria langsam aber sicher aus meinem Leben verschwinden. Wie ein altes Foto im Sonnenlicht, das langsam ausbleicht – oder wie Spuren im Sand, die der Wind langsam aber sicher verwischt. Und genau das ist es, was mich stört! Ich möchte nicht, daß Viktoria zu einer Randnotiz in meinem Leben verkommt. Ich will nicht, daß ihr Besuch bedeutungslos wird. Es darf nicht sein, daß ihr Tod umsonst war! Ich muß wieder mehr Viktoria in meinen Alltag einbauen. Ich will wieder verstärkt ihre Geschichte in die Welt hinaustragen, möchte allen Menschen erzählen, wie stolz ich auf sie bin.

Viktoria, mein süßer Fratz. Ich wünsche dir alles Gute, wo auch immer du gerade bist. Sehen kann ich dich nicht und mein siebter Sinn ist sich nicht ganz sicher, ob er dich wirklich in meiner Nähe spürt. Aber ich kann immer zu dir sprechen, wenn mir danach ist und die Erinnerung an dich aufrecht halten. Es geht eigentlich auch gar nicht „gegen das Vergessen“ von dir. Es ist für mich unmöglich, dich zu vergessen. Aber ich möchte mich gegen das Vergessen deiner Botschaft stemmen und mir wieder mehr ins Bewußtsein holen, was du für mich, für Ute und für alle anderen getan hast. Ich liebe dich.

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4 Antworten zu Gegen das Vergessen

  1. Bianca Bölling sagt:

    Lieber Ecki, liebe Ute,

    morgen sehen wir uns endlich mal wieder. Wir freuen uns!
    Und ja, auch wir haben Viktoria schon lange nicht mehr angesprochen. Ich will nur, dass ihr wisst (falls mich dann morgen mal wieder der Mut verlässt, oder das „Thema“ jetzt gerade nicht passt, oder…), dass eure süße Tochter bei uns nicht in Vergessenheit geraten ist. Bei Viktorias Beerdigung war ich gerade mit Marius schwanger. Und durch euren Verlust wurde mir damals klar, was wirklich wichtig ist. Und immer, wenn ich an euch und Elaines große Schwester denke, rückt das manch vermeintliches Problem wieder ins rechte Licht. Nein, bedeutungslos war ihre Zeit hier auch für uns nicht!
    Ganz liebe Grüße,
    Bianca

  2. Valerie sagt:

    Liebe Luhms,

    wir kennen uns nicht und dennoch vergeht keine Woche, in der ich nicht an eure Vicky denke… auch wenn euch das konkret nicht hilft, trage ich sie immer ein Stück weit in meinem Herzen. Alles Gute für euch 🙂

    • elu sagt:

      Liebe Valierie,

      wir haben uns unheimlich über deinen Kommentar gefreut! Es ist so schön für uns, wenn an unser Sternenkind gedacht wird. Insbesondere wenn Menschen berührt werden, die Viktoria nicht kannten, zeigt uns das, wie wichtig ihr kurzes Dasein doch war – nicht nur für uns.

      Das macht uns noch ein wenig stolzer, ihre Eltern sein zu dürfen. Und das heißt auch, daß der Weg, den sie wählte, tatsächlich Sinn macht.

      Ganz liebe Grüße, Ecke

  3. Susanne sagt:

    Liebe Ute, lieber Ecke,

    auch wir waren anlässlich des Geburtstags von Viktoria bei Euch und mir ist gerade aufgefallen, dass sie noch gar nicht in unserem Geburtstagskalender steht, den Marlene für uns gebastelt hat. Das werde ich gleich mal ändern! LG

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