Die geplante OP wird durchgeführt, wie wir aber kurzfristig informiert werden, soll doch kein Shunt-System implantiert, sondern nur eine weitere externe Drainage gelegt werden. Die OP verläuft ohne Komplikationen. Es gab auch nicht viel zu tun, das Bohrloch war ja schon vorhanden. Der Neurochirurg Dr. M. sucht uns danach auf und erklärt, daß er kein Shunt-System verlegt hat, weil zum einen ihr akuter Fall es bedingt, daß man kontrollieren sollte, wieviel Flüssigkeit tatsächlich aus dem Kopf abfließt. Zum anderen besteht aufgrund des vermutlich hohen Eiweißgehalts des Hygroms und noch nachkommender Flüssigkeit die Gefahr der Verstopfung des Shunts, ohne daß man das bemerken würde. Die externe Drainage soll nun zunächst mal dort verbleiben und man möchte beobachten, wie sich der Ausfluß entwickelt. Falls es notwendig werden würde, könnte man immer noch einen Shunt verlegen.
Ob ein direkter Zusammenhang zwischen dem Hygrom und den Krämpfen besteht, kann Dr. M. nicht sagen. Es wäre möglich, muß aber nicht sein. Im Zusammenhang mit ihrer Grunderkrankung ist ihre Krampfbereitschaft nun einmal stark erhöht und es könnte schon sein, daß so eine an sich nicht wirklich schlimme Wasseransammlung dann dazu beiträgt, Krämpfe auszulösen.
Bis wir endlich zu Viktoria dürfen, vergehen noch weitere zwei Stunden. Sie sieht furchtbar aus. Das Gesicht ist stark aufgedunsen, die Lippen stark geschwollen – sie hat ein richtiges Fischmaul. Es gibt überall an ihrem Körper Wassereinlagerungen. Der Hautausschlag ist zurück, diesmal über den ganzen Korpus verteilt. Man hat wieder einen Arterienkatheter verlegt (wegen der erneuten Gabe von Arterenol, das wiederum wegen der tiefen Sedierung nötig ist), einen Blasenkatheter und ein Online-EEG. Sie ist nun wieder voll verkabelt und beatmet im tiefsten künstlichen Koma. Soweit waren wir vor drei Wochen schon einmal.
Immerhin: Sie krampft gerade nicht mehr. Es wurde ein weiteres (großes) EEG durchgeführt, und man hat keine Krampfpotentiale gesehen. In dieser tiefen Sedierung ist eine Beurteilung aber aufgrund des sehr flachen EEGs fast unmöglich. Man entscheidet sich, das Trapanal wieder abzusetzen und weiter zu beobachten.
Doch nur einige Stunden später sieht man erneut rhythmische Zuckungen am rechten Arm. Ein weiteres EEG bringt Klarheit: Ja, es sind Krämpfe. Das haben wir auch ohne EEG sofort gesehen. Die Neurologen Dr. W. und Dr. M. erklären uns, daß man das Trapanal dennoch nicht mehr einschalten möchte aufgrund dessen Nebenwirkungen. Die Zuckungen seien auch nur so leicht, daß dadurch keine Schäden im Gehirn verursacht würden. Sagen sie. Wir wollen ihnen glauben. Zumal wir wissen, wie lange es dauert, um aus einer tagelangen Trapanal-Sedierung wieder zu Bewußtsein zu gelangen.
Gegen Abend haben wir nochmal ein Gespräch mit Dr. M., dem Hämatologen. Er ist auch sichtlich betrübt von der aktuellen Entwicklung. Dennoch sieht er es nicht so, daß wir wieder ganz am Anfang wie vor drei Wochen stehen. Im Raum steht die Frage, ob die erneute Gabe von Methotrexat (MTX) und die neuerlichen Krampfanfälle in Zusammenhang stehen. Zwischen der letzten Gabe von MTX und dem ersten nicht durchbrechbaren Krampfanfall lagen ebenfalls zwei Tage. Dr. M. ist aber nach Rücksprache mit der Studienzentrale für die HLH in Hamburg der Meinung, daß das Methotrexat diese Krämpfe eher nicht ausgelöst hat. Bei den bekannten Fällen zeigten sich im MRT gewisse Veränderungen, die bei Viktoria nicht beobachtet wurden. Ganz ausschließen kann man diese Möglichkeit aber dennoch nicht.