Donnerstag 8.9.2011

Wir haben gerade Schwierigkeiten zu schlafen. Das liegt aber nicht an Viktoria sondern eher an den Gedanken, die immerzu in unseren Köpfen kreisen.

Viktoria liegt den ganzen Tag nur ruhig da und macht gar nichts. Ihr Puls pendelt um 110, sie ist oft wach, schläft kaum noch. Auch nachts liegt sie oft mit offenen Augen da und schaut umher. Es fällt uns schwer, ihren passiven Anblick zu ertragen.

Das Novalgin bekommt sie immer noch fest, aber in reduzierter Dosis nur noch alle acht Stunden. Das starke Dipidolor hatte sie seit Montag nicht mehr. Auch ihre Atmung ist wieder viel besser geworden, sie atmet ruhig und normal. Dr. M. kommt vorbei und zieht die Fäden am Kopf.

Abends haben wir das nächste Hiobs-Gespräch mit dem leitenden Radiologen der Klinik Dr. W., unser Chef-Hämatologe ist auch dabei. Wir bekommen die MRT-Bilder von Viktorias Gehirn im Verlauf zu sehen – es wurden ja zahlreiche Untersuchungen durchgeführt. Die Ergebnisse sind vernichtend. Viktorias Großhirn hat starke strukturelle Änderungen erfahren. Zu Beginn der Erkrankung Mitte Juni seien schon einmal sehr schnell sehr starke Veränderungen beobachtet worden, als Viktoria den ersten heftigen Krampfanfall erlitt. Diese hatten sich zunächst wieder erholt – auch das war für Dr. W. sehr überraschend, aber für die HLH nicht untypisch. Hiernach kam es aber erneut zu einer Infiltration und weitergehenden Veränderung der Großhirnrinde, die nun nicht mehr die Hoffnung zulassen, daß sich das wieder zurückbilden würde. Im Gegenteil muß man eher davon ausgehen, daß es sich noch verschlimmern wird. Auch die Tatsache, daß das Gehirn auf der linken Seite schrumpft, deutet auf schwerste, irreversible Schädigungen hin. Dr. W. ist sich sicher, daß Viktoria sich niemals wieder vollständig erholen wird. Natürlich kann auch er nicht gänzlich ausschließen, daß sich Teile des Gehirns erholen, doch selbst das hält er für äußerst unwahrscheinlich. Er hofft dennoch, daß er sich irrt.

Auch gibt er uns zu bedenken, daß das MRT eine tolle Technik sei, die Bilder jedoch nicht immer aussagekräftig seien und nicht immer mit der Realität übereinstimmten bzw. eine falsche Realität vorspiegelten. In diesem Fall seien die sichtbaren Veränderungen aber leider sehr deutlich und lassen nur diesen einen Schluß zu. Er vergleicht es mit einem Auto, an dem zwei Räder fehlen. Auch da würde man bei nur grobem Hinschauen erkennen können, daß es nicht mehr fahrtüchtig sei.

Dr. W. ist einer der erfahrensten Kinderradiologen weltweit. Er steht kurz vor dem Ruhestand, hat schon Zigtausende MRT-Bilder zu Gesicht bekommen. Es besteht kein Zweifel daran, daß er weiß, wovon er spricht. Er will dennoch die Bilder einigen Kollegen in den USA präsentieren, um eine Zweitmeinung einzuholen. Außerdem schlägt er eine Verlaufskontrolle in drei Wochen vor, um zu sehen, in welche Richtung sich Viktorias Gehirn entwickelt. Er befürchtet jedoch eine weitere Verschlechterung.

Wir hatten eine solche Ansprache erwartet. Dennoch ist es etwas anderes, diese niederschmetternde Realität vor Augen geführt zu bekommen. Alle Ärzte, denen wir bislang begegnet sind, sprechen sich gegen eine KMT aus – gegen die schulmedizinische Therapie, die Viktoria von ihrer Grunderkrankung befreien könnte. Die Alternative ist eine Palliativmedizin, quasi lebenserhaltende Maßnahmen – so lange wie möglich. Das Warten auf den Tod.

Wollen wir das? Will Viktoria das? Hat sie nicht eine Chance auf ein langes, erfülltes Leben verdient? Wie erfüllt ist ein Leben mit einem völlig zerstörten Gehirn? Kann sie so überhaupt glücklich sein? Können wir das? Kann sie vielleicht wieder soweit genesen, daß sie am Leben teilhaben kann? Dürfen wir darauf hoffen? Oder sollen wir uns in unser Schicksal ergeben und ihr einfach so lange zur Seite stehen, bis sie ihren letzten Atemzug gemacht hat?

Wir können nicht glauben, daß das alles passiert…

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3 Antworten zu Donnerstag 8.9.2011

  1. Der Boss. sagt:

    schlimm, schlimmer , am schlimmsten, trotzdem, abgedroschen aber richtig: die hoffnung stirbt zuletzt!!! – ihr lieben zwei beide und plus! — “ ich will. das wort ist mächtig, sprichts einer ernst und still. die sterne reißts vom himmel, das eine wort ich w i l l !! “ (goethe). – Wir sind immer bei euch und werden euren schmerz mit dem unseren vereinen und teilen. —eure oma und euer opa. – — ich kann euch nur meine tränen schicken. oma.

  2. Petra sagt:

    Liebe Viktoria, liebe Ute, lieber Ecke,
    die letzten Eintragungen haben mich unheimlich traurig gemacht.
    Ich hatte eine Woche nicht im Blog gelesen – und jetzt ist aus der Zuversicht Entsetzen geworden. Ich würde euch so gerne trösten oder aufmuntern – nur wie soll das gehen? Das, was ihr mit eurem Kind im Moment durchmacht, ist so unbegreiflich. Wir alle sind in Gedanken bei euch – und wünschen so sehr, dass zumindest Viktorias Schmerzen, ihr Leid und Leiden in den Griff zu kriegen sind. Gegen die Schmerzen von euch Eltern gibt es wohl nichts, was euch wirklich hilft.
    Findet Kraft in eurer Liebe – zu eurem Kind, aber auch in der Liebe zu einander. Und wisst: nicht immer entwickelt sich alles so, wie es die Statistik glauben machen will.
    Vielleicht helfen euch wenigsten ein bisschen unsere Gebete – wir denken an euch!
    Ihr kennt eure Tochter am besten – hört auf euer Herz und euer Bauchgefühl. Ihr braucht
    viel Kraft auf diesem unbekannten Weg – findet genug davon!
    LG, Petra und alle anderen.

  3. Nathalie, Thorsten, Fiona & Lucie sagt:

    Hallo ihr Drei,

    wir denken immer an euch. Wir wünschen euch Kraft dies alles durchzustehen. Ich weiß gar nicht, was ich euch schreiben soll. Hier in Leimersheim sind so viele Menschen in Gedanken bei euch.

    Liebe Grüße
    Nathalie, Thorsten, Fiona & Lucie

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