Sonntag, 17.7.2011

Und wieder sind es die kleinen Fortschritte, die uns Aufwind geben. Wenn Viktoria schläft und kurz aufwacht, um dann gleich weiter zu dösen, streckt sie sich und bewegt dabei ihren rechten Arm mit in die Höhe. Später am Tag macht sie das nochmals. Ecke gewinnt den Eindruck, daß sie es schafft, sich im Schlaf so zu bewegen, wie sie das will. Wenn sie jedoch wach ist, blockiert irgendwas diese Möglichkeit. Vielleicht eine Art Reizüberflutung aufgrund veränderter Wahrnehmung?!

Morgens klärt Ute das Thema Blutzucker mit der Stationsärztin Dr. B. Viktoria muß nun nicht mehr gepiekst werden, da die Werte den letzten Tag über stabil waren.

Eckes Schwester kommt mit Familie zu Besuch. Viktoria ist den ganzen Tag heute nicht gut drauf. Wenn sie wach ist, verdreht sie ihre Augen ständig nach links oben, egal wie ihr Kopf liegt. Die Augen zucken dabei ein wenig. Irgendwann röten sie sich (vor allem das rechte) vermutlich aufgrund dieses Starrens, und sie bekommt Tränenflüssigkeit, die auch zu helfen scheint. Dazu wimmert sie leise ohne Unterbrechung bei jedem Atemzug. Außerdem klappt heute das Trinken überhaupt nicht.

Gegen Abend fällt ihre Sauerstoffsättigung etwas ab. Die Stationsärztin Dr. K. kommt vorbei und macht sich vor Ort ein Bild. Just in diesem Moment erleben wir einen neuen Krampfanfall! Viktorias Arme zucken rhythmisch zusammen. NEIN! DAS DARF DOCH NICHT WAHR SEIN!!! Ihr wird Diazepam rektal verabreicht, ein weiteres Antikonvulsivum. Warten. Das Zucken des linken Arms verstummt, rechts zuckt Viktoria noch immer. Sie hat mittlerweile die Augen geschlossen, das neue Medikament macht auch schläfrig. Nach einigen Minuten verläßt Dr. K. das Zimmer um mit der Oberärztin Dr. G. zu telefonieren. Als sie zurückkommt, zuckt der Arm noch immer. Mittlerweile sind bereits zehn Minuten seit Beginn des Krampfanfalls vergangen. Nach Rücksprache mit Dr. G. soll Viktoria erneut auf die Intensivstation verlegt werden. Vorher will man noch Blut abnehmen, um die Atemgaskonzentrationen zu messen. Das dauert alles sehr lange, der neue Katheter funktioniert nicht besonders gut. Dann platzt noch die Wasserflasche, die für die Sauerstoffgabe nötig ist, und eine Gasflasche muß geholt werden. Zu allem Überfluß bemerkt man dann noch, daß der Überwachungsmonitor keinen Akku hat und muß für die Verlegung noch schnell einen anderen besorgen. Das wirkt alles nicht gerade  professionell. Bis sie endlich hinausgerollt wird, vergeht eine knappe Stunde, während der Viktoria mit dem Zucken noch immer nicht aufgehört hat.

Wieder müssen wir warten. Jede Minute wird zur Ewigkeit. Eine weitere Stunde später dürfen wir endlich zu ihr. Sie ist nicht intubiert, man hat ihr Dormicum gegeben, was den Krampfanfall vorerst erfolgreich durchbrochen hat. Wir sind ein wenig erleichtert. Doch während wir noch an ihrem Bettchen stehen und uns gegenseitig Mut machen, merken wir, wie ihr rechter Arm wieder zu zucken beginnt. Die Atmung ist außerdem nicht mehr gut, sie röchelt als müßte sie gleich husten, tut es aber nicht. Sie soll nun noch zusätzlich Phenytoin bekommen, das hatte man ja schonmal gegeben und vor zwei Wochen bereits erfolgreich absetzen können. Sie muß dafür nochmal einen Venenzugang bekommen, da das Medikament venenreizend ist und nicht über den zentralen Katheter gegeben werden kann. Wir müssen erneut den Raum verlassen.

Nach einer Viertelstunde kommt Dr. S. zu uns und erklärt, daß er nochmal telefonisch Rücksprache mit Oberarzt Dr. O. gehalten hat und sie Viktoria nun aufgrund der schlechten Atmung erneut intubieren werden. Falls die erneute Gabe von Dormicum den Krampfanfall nicht durchbrechen kann, müßte man sogar wieder auf Trapanal gehen – sie also erneut ins künstliche Koma versetzen.

Oh Gott, alles bloß das nicht! Wieder müssen wir warten.

Eine weitere Stunde später – es ist mittlerweile zwei Uhr nachts – hat sich die Situation weiter zugespitzt. Als wir geholt werden, ist Viktoria wieder intubiert, selbst die Maximaldosis Dormicum hat nicht geholfen, also hat man noch Trapanal gegeben. Und selbst das konnte den Krampfanfall nicht durchbrechen, Viktorias rechter Arm zuckt noch immer!!! So schlimm war es noch nie! Es soll noch in der nächsten Stunde ein Notfall-MRT gemacht werden, der Radiologe ist bereits auf dem Weg in die Klinik, das MRT wird gerade hochgefahren. Man möchte sich ein Bild davon verschaffen, was diese Krämpfe auslösen könnte, und die Zeit drängt, da eventuell weitere neurochirurgische Maßnahmen indiziert wären. Und wieder heißt es warten.

Knapp zwei endlose Stunden später endlich der Befund. Dr. S. zeigt und erklärt ausführlich die neu gemachten Bilder. Man sieht auf der linken Seite an der Stelle, wo das subdurale Hämatom war, eine deutliche Flüssigkeitsansammlung, ein sogenanntes Hygrom. Es scheint also, als wäre Nervenwasser an diese Stelle der früheren Blutung nachgelaufen und könnte verantwortlich für diese neuerlichen Krämpfe sein. Dazu paßt auch, daß der Anfall hauptsächlich die rechte Körperseite betraf. Weiterhin sieht man auf den MRT-Bildern, daß das Hirnödem weiter rückläufig ist, die Mark-Rinden-Differenzierung hat sich weiter gebessert. Wenigstens etwas Positives.

Um das Hygrom abzulassen, ist eine weitere OP geplant. Dr. S. erzählt von einem „Shunt-System“, einer Drainage, die unter die Haut implantiert vom Kopf in den Bauchraum führen würde. Man würde es so vermeiden, alle 3 Wochen eine externe Drainage legen zu müssen. Genaueres werden aber die Neurochirurgen entscheiden.

Über die Ursache der neuerlichen Verschlechterung kann Dr. S. auch nur spekulieren. Ob es tatsächlich die letzte Gabe von MTX war oder ein neuerlicher Schub der HLH, ist nicht abschließend zu klären. Im Blutbild von heute hat man jedoch deutlich erhöhte Ferritin-Werte (2200) gemessen, auch der Interleukin-2-Rezeptor (il-2) weist auf eine zugenommene Aktivität der HLH hin.

Viktoria krampft seit der MRT-Untersuchung nicht mehr, man hat durch Hinzunahme von Sufentanil (einem starken Schmerzmittel, das zur Analogsedierung eingesetzt wird) den Krampfanfall durchbrechen können. Im Augenblick ist es nicht unbedingt erforderlich, die geplante OP sofort durchzuführen, man würde nur wenige Stunden gewinnen. Es wird alles für die OP morgen früh um 8.00 Uhr vorbereitet.

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