Donnerstag, 28.6.2012

Der Tag der Trauerfeier ist da. Ein wunderschöner, heißer Sommertag. Wir hatten die letzten Tage unwahrscheinliches Glück mit dem Wetter. Es war recht kühl für diese Jahreszeit, so daß Viktoria lange bei uns bleiben konnte.

Wir ziehen Viktoria unseren Lieblings-Schlafanzug an, ein goldiger lilafarbener Zweiteiler mit schrunzeligen Bündchen. Papa nimmt seine Tochter ein letztes mal auf den Arm, um sie in ihren Sarg zu betten. Er ist wunderschön geworden. Bunt bemalt, fröhlich und zu Tränen rührend. Morgens informieren wir den Bestatter, daß er Viktoria holen kann. Es ist nicht schlimm, als er eintrifft. Wir hatten viel Zeit, um uns von ihr zu verabschieden. Wir sind eigentlich eher ein wenig froh, daß er kommt – sie stinkt! 🙂 Freud‘ und Leid liegen oft sehr nah beieinander. Aber es war wunderschön, sie bis heute bei uns zu haben, um sie heute auf ihrem letzten Weg zu begleiten. Wäre sie gestern schon geholt worden, es wäre seltsam gewesen. Keine runde Sache. Wir bereuen es nicht.

Auf dem Friedhof angekommen beginnen die Vorbereitungen. Papas Familie kommt und befüllt farbige Luftballons mit Helium. Unser Bestatter hat eine unglaublich schöne Dekoration aufgebaut. Ein riesiges Poster unseres Lieblingsbildes von Viktoria steht neben einem Meer von farbigen Tüchern, die um ihren Sarg ausgelegt sind. Auf der anderen Seite steht ein unvollendetes Puzzle unserer Tochter, das wir extra dafür vorbereitet hatten – passend zur wundervollen Geschichte unserer Rednerin, daß wir alle Teil eines vollkommenen Puzzles sind, das wir nicht zu überblicken vermögen.

Die Anteilnahme ist überwältigend. Es sind viel mehr Menschen da, als wir erwartet haben. Es ist so schön! Wir hatten zwei Wünsche: Viele anwesende Kinder und viel farbige, festliche Kleidung. Und die werden mehr als erfüllt. Es sieht aus wie auf einem Kindergeburtstag – und in gewisser Weise ist es das ja auch. Nur ist es eine Geburt in ein anderes Leben.

Die Trauerrede ist sehr bewegend. Während einer musikalisch untermalten Pause dürfen alle Familien einen Luftballon mit einer Karte an Viktorias Sarg befestigen. Auf den Karten sind Kinderfotos, gemalte Bilder und Glückwünsche zu sehen. Der Strom an Menschen, die einen Ballon befestigen möchten, reißt überhaupt nicht ab. Oh mein Gott, es sind so viele! Viel mehr, als wir erwarteten. Alle wollen an diesem Moment teilhaben. Es ist einer der bewegendste Augenblicke der Feier. Diese unermeßliche Anteilnahme rührt uns wirklich zutiefst.

Dann ist es soweit. Viktorias letzter Gang. Auf unserem Kinderwagen ruhend wird ihr Sarg über den Friedhof geschoben, rechts und links laufen Kinder und helfen mit, ihren Sarg zu schieben. Keine Spur von Scheu. Die Ballons wehen im Wind hin und her. Es sind so viele – man hat den Eindruck, der Sarg müßte jeden Moment abheben. Auch diesen Moment werden wir nie vergessen. Genau so haben wir uns das vorgestellt. Das hätte Viktoria mit Sicherheit gefallen.

Am Grab angekommen, trägt Eckes Cousine ein wunderbares Gedicht vor, das passender nicht sein könnte:

Still! Seid leise!
Es war ein Engel auf der Reise.

Sie wollte ganz kurz bei euch sein,
warum sie ging, weiß Gott allein.

Sie kam von Gott, dort ist sie wieder.
Wollt‘ nur kurz auf uns’re Erde nieder.

Ein Hauch nur bleibt von ihr zurück,
in eurem Herz ein großes Stück.

Sie wird für immer bei euch sein,
vergeßt sie nicht, sie war so klein.

Geht nun ein Wind an mildem Tag,
so denkt: Es war ihr Flügelschlag.

Und wenn ihr fragt: Wo mag sie sein?
So wißt: Engel sind niemals allein.

Sie kann jetzt alle Farben seh’n,
und barfuß durch die Wolken geh’n.

Bestimmt läßt sie sich hin und wieder
bei and’ren Engelkindern nieder.

Und wenn ihr sie auch sehr vermißt
und weint, weil sie nicht bei Euch ist,

so denkt: Im Himmel, wo es sie nun gibt
erzählt sie stolz: Ich werde geliebt!

Die Worte dringend tief in unsere Herzen ein und spenden unwahrscheinlich viel Trost. Nun schneiden Mama und Papa die Schnüre durch und entlassen die Ballons in den Himmel – die Karten mit den Glückwünschen und Fotos verbleiben bei Viktoria. In diesem Bild steckt soviel Symbolik, soviel Kraft – wunderbar.

Die Feier endet mit dem Ablassen des Sargs. Dieses von anderen Beerdigungen bekannte Zeremoniell hat längst nicht mehr diesen niederschlagenden Effekt auf uns. Anschließend kommt es zur persönlichen Verabschiedung der Anwesenden, auch aller Kinder. Es ist schön mit anzusehen, wie diese ein noch unverkrampftes Verhältnis zum Tod haben und nach dem Wurf einer Blume wieder zum Spielen auf der Wiese übergehen. Wir können viel von ihnen lernen.

Wir möchten uns an dieser Stelle bei allen Beteiligten und Anwesenden bedanken. Ein ganz besonderes Dankeschön geht an alle anwesenden Kinder und deren Eltern, die ihren Sprösslingen diese Erfahrung zuteil werden ließen. Ihr alle habt dafür gesorgt, daß diese Feier zu einem großen Fest wurde. Ein Fest, wie es für die Verabschiedung einer so großartigen Seele würdig war. Ein trauriges Fest, aber ein feierliches, das im Gedächtnis bleiben wird. Viktoria wird euch auf ihre Weise dafür danken. Ihr werdet sehen. 🙂

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