Dienstag, 21.6.2011

Die Nacht über wurden wir nicht geweckt. Viktoria war wohl ein-, zweimal wach, ließ sich aber durch Füttern von abgepumpter Milch von der Schwester beruhigen. Vermutlich auch, weil das Beruhigungsmittel noch gewirkt hatte. Die Blutwerte haben sich nicht wesentlich verändert, manche sind leicht zurückgegangen. Um 12.00 Uhr hat sie einen weiteren Termin im MRT, um die Veränderung der Hirnblutung zu untersuchen. Sie bekommt abermals eine Anästhesie dafür.

Sie schläft noch, als wir nachmittags zu ihr dürfen. Nach kurzer Zeit erleidet sie einen Krampfanfall vor unseren Augen. Die rechte Körperhälfte zuckt rhythmisch zusammen, sie ist nicht ansprechbar, die Augen sind geschlossen. In diesem Moment kommt der diensthabende Arzt Dr. P. herein und sagt uns, daß aufgrund des aktuellen MRT-Befundes Viktoria unverzüglich in ein künstliches Koma versetzt werden muß. Da sie hierfür intubiert wird, müssen wir unverzüglich den Raum verlassen.

Am Boden zerstört kauern wir im Elternzimmer und können noch nicht fassen, was gerade passiert ist. Der Neurologe Oberarzt Dr. K. kommt herein und erklärt, daß im aktuellen MRT-Befund zusätzlich zum Hämatom eine Schwellung des Gehirns (ein sogenanntes Hirnödem) entdeckt wurde. Um das Gehirn vor Schäden zu bewahren, wird sie nun mit Trapanal so tief wie möglich sediert und muß so lange in diesem Zustand verbleiben, bis sich das Ödem zurückbildet. Wir können noch nicht denken, geschweige denn Fragen stellen. Kurze Zeit später kommen die Oberärzte Dr. L. und Dr. M. hinzu und bitten uns ins Ärztezimmer.

Man erklärt uns, daß eine Notfall-OP geplant ist. Man kann uns nicht erklären, woher das Hirnödem kommt. Es besteht nach Auffassung der Ärzte jedoch ein Zusammenhang zum Hirnhämatom und sie sehen sofortigen Handlungsbedarf. Man will das Hämatom anbohren und das dortige Blut ablassen, weil man einen zu hohen Hirndruck vermutet und eine Schädigung des Hirn vermeiden möchte. Die OP wird im naheliegenden Katharinenhospital durchgeführt werden, Viktoria wird bereits für den Transport vorbereitet. Für die OP bekommt sie eine große Anzahl Thrombozyten verabreicht, um die Gerinnung so weit zu verbessern, daß der Eingriff überhaupt möglich ist. Zu den Einzelheiten der OP sollen wir uns sofort ebenfalls ins Katharinenhospital begeben. Dr. M. ergänzt noch, daß außerdem eine Intensivierung der Therapie angezeigt ist. Man möchte mit der Gabe von Cyclosporin (intravenös) sowie Methotrexat (intrathekal, d.h. ins Rückenmark) beginnen, da die Krankheit auch im zentralen Nervensystem aktiv zu sein scheint. Ebenfalls intrathekal soll Kortison verabreicht werden.

Dort angekommen spricht Dr. T. mit uns, er wird Oberarzt Dr. O. bei dem Eingriff assistieren. Man wird Viktoria ein Loch in die Schädeldecke bohren und die darunterliegende Hirnhaut anritzen. Das abgelassene Blut wird dann über eine Drainage abgeleitet. Diese verbleibt nach der OP zusammen mit einer Drucksonde im Kopf, um rechtzeitig einen erneuten Anstieg des Hirndrucks zu detektieren. Die OP wird ca. eine Stunde dauern. Sie behalten sich vor, Viktoria anschließend zunächst auf der neurochirurgischen Intensivstation zu behalten, abhängig vom Verlauf der OP.

Wir sind einerseits völlig niedergeschlagen von den aktuellen Ereignissen. Andererseits keimt in uns aber auch die Hoffnung, daß mit einem positiven Verlauf der OP Viktoria schnell wieder aus dem künstlichen Koma geholt werden kann.

Die OP verläuft glücklicherweise glatt. Dr. O. telefoniert mit uns und berichtet, daß sie froh sind, den Eingriff durchgeführt zu haben, denn das Blut im Gehirn stand unter hohem Druck. Es gab keine Komplikationen, Viktoria wird zurück ins Olgäle verlegt. Einerseits erleichtert aber andererseits schockiert von den sich überschlagenden Ereignissen dieses Tages besuchen wir sie alsbald nochmals.

Ihr Zustand ist stabil, es ist jedoch kein schöner Anblick. Sie ist völlig nackt, liegt auf dem Rücken, unzählige Schläuche und Kabel führen zu und in ihren kleinen Körper. Links und rechts neben ihrem Bett steht jeweils eine Batterie an Perfusoren, Geräte, die kontinuierlich mit Medikamenten gefüllte Spritzen in unsere Tochter pumpen. Über ihrem Kopfende thront ein Monitor, der ihre Werte anzeigt – es ist kein leeres Plätzchen mehr darauf zu finden, so voll ist die Anzeige. Alle paar Minuten piept eines der Geräte und fordert Aufmerksamkeit. Die Schwester ist durchgehend damit beschäftigt, alles am Laufen zu halten.

Man versichert uns, daß in dieser sehr tiefen Sedierung die Kinder absolut nichts mitbekommen. Das wäre auch besser so.

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