Vicky bei ELTERNgespräch

Es gibt etwas Neues von Viktoria. Ja, auch wenn sie nicht mehr unter uns weilt, ergab sich eine Gelegenheit für mich, ihre Geschichte ein wenig weiter in die Welt hinaus zu tragen.

Vor zweieinhalb Jahren bekam ich eine Anfrage von der Redaktion der Zeitschrift Eltern. Dort war man auf meinen Blog aufmerksam geworden und fragte mich, ob ich Interesse hätte, bei einem Podcast rund um das Thema Familie mitzuwirken. Naja, ihr kennt mich – natürlich hatte ich. 🙂

Zunächst wußte ich nicht so recht, wie ich mir das vorzustellen hatte. Es ist ja doch – nicht nur für mich – ein sehr emotionales Thema, und der Gesprächspartner kann großen Einfluß auf den Verlauf des Gesprächs und dessen Ton ausüben. Aber nachdem ich eine bereits produzierte Folge des Podcasts anhörte, in der es um ein behindertes Kind ging, hatte ich das Gefühl, in guten Händen zu sein. Ich vereinbarte einen Termin im Verlagsgebäude in Hamburg und nutzte die Gelegenheit für einige Tage Urlaub mit der ganzen Familie im Norden der Republik.

Das war bereits im Mai 2019, also vor Corona – das fühlt sich heute an, wie zu einer anderen Zeit. Die große Verzögerung der Veröffentlichung resultierte wohl aus einem größeren „Interview-Stau“, der dazu geführt hat, daß die Folge mit Viktoria erst vor kurzem live ging. Hier kann sie angehört werden.

Falls der eingebettete Player nicht funktioniert, findet ihr das Interview auch auf der Webseite von ELTERNgespräch, Folge #114. Hier der direkte Link.

An dieser Stelle möchte ich nochmals meinen Dank an Julia Schmidt-Jortzig aussprechen, den Host von ELTERNgespräch. Sie führte das Interview mit mir sehr einfühlsam und doch mit direkten Fragen. Damit schenkte sie mir in diesem mir sehr wichtigen Thema nicht nur ihr Ohr, sondern bot mir auch eine Plattform, um Viktorias Geschichte weiter in die Welt hinaus zu tragen. Danke, Julia!

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Corona-Krise – Die Riesenchance

Man kann es wohl jetzt schon in die Wahl zum (Un-)Wort des Jahres aufnehmen: „Corona-Krise“. Was für ein Einschnitt in unsere Lebensgewohnheiten! Die Entwicklung hat uns wohl alle überfahren und momentan kann keiner wirklich sagen, wie es weitergehen wird. Mögliche Szenarien gibt es viele, Verlässlichkeit oder gar Gewissheit indes nicht. Das sorgt für großes Unbehagen. Man hat uns zum Schutz der Allgemeinheit Möglichkeiten und auch Freiheiten genommen. Vieles was vor kurzer Zeit noch selbstverständlich war, ist es nun plötzlich nicht mehr.

Es ist eine Sache, vorübergehend in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt zu werden. Es ist aber eine ganz andere, keine klare Zukunftsperspektive zu haben. Es ist ja momentan wirklich alles in Frage gestellt! Diese Unsicherheit ist in hohem Maße beunruhigend und verängstigt viele Menschen. Ich meine dabei nicht die Angst vor der Krankheit selbst – obwohl die sicherlich eine Rolle spielt. Nein, ich spreche von Angst vor der Zukunft; Angst vor finanziellen Schwierigkeiten; Angst davor, gezwungen zu sein, die jahrelang bewanderten Pfade verlassen zu müssen; Angst davor, Liebgewonnenes zu verlieren.

Jetzt tritt das spirituelle Vakuum zum Vorschein, das die Kirchen in der Vergangenheit verursacht haben. Die vielen Kirchenaustritte verdeutlichen nur, daß die heute angebotene Religion die Menschen nicht mehr erreicht. Meiner Meinung nach entspricht es jedoch der menschlichen Natur, früher oder später nach dem Sinn des großen Ganzen zu fragen. Ich behaupte, daß jeder Mensch, der nicht gerade durch einen Unfall aus dem Leben gerissen wird, sich in seinem Leben irgendwann für die wirklich wichtigen Themen interessieren wird: Wo komme ich her? Was passiert, wenn ich sterbe? Warum bin ich hier? Manche Menschen stellen sich diese Fragen schon relativ früh in ihrem Leben. Manche tun das erst, wenn sie einen geliebten Menschen beim Sterben begleiten und manche erst, wenn sie dem eigenen Tod ins Auge blicken. Aber sie tun es. Alle.

Ich denke mir, daß das „eingebaut“ ist. Es ist in unsere menschliche DNA eingefräst, daß wir nach dem Warum fragen. Man kann versuchen, diese intrinsischen Fragen zu ignorieren, sie zu unterdrücken oder mit dem Verstand ruhigzustellen. Doch früher oder später werden sie sich erneut Bahn brechen und man wird nach Antworten suchen.

Krisen können solche Momente auslösen. Wir haben es heute mit einer Krise von weltumspannendem Ausmaß zu tun. Noch nie hat die Menschheit etwas Vergleichbares erlebt. Auf persönlicher Ebene wird aus dieser globalen Krise auch eine persönliche Krise. Wir spüren gerade, daß sich etwas verändert hat. Etwas, das vorher stets da war, scheint nun weg zu sein. Etwas, das so fundamental in unserer Weltanschauung eingraviert war, daß wir nie darüber nachdachten, sondern es stillschweigend als von Gott gegeben ansahen. Etwas, das uns Gefühle der Freiheit, Sicherheit und Kontinuität gab.

Wenn wir uns abends ins Bett legen, dann tun wir das mit der absoluten Gewissheit, daß morgen früh die Sonne wieder aufgehen und die Nacht beenden wird. Wir kommen gar nicht auf die Idee, daran zu zweifeln, weil es Teil unseres Glaubenssystems ist. Nun hat praktisch über Nacht etwas dieses Glaubenssystem erschüttert. Es hat sich etwas verändert, von dem man zu wissen glaubte, daß es immer da sein würde. Die Kontinuität wurde aufgebrochen. Man fragt sich, wie die Welt wohl aussehen wird, wenn diese akute Phase abgeklungen ist. Wir befinden uns im Ausnahmezustand. Was wir gestern noch für relevant erachteten, rückt plötzlich in den Hintergrund. Der Boden unter unseren Füßen beginnt zu wackeln, ja er gelangt ins Rutschen und wir suchen Halt.

Ich darf von mir behaupten, ein wenig Erfahrung mit persönlichen Krisen zu haben. Als Viktoria plötzlich dem Tode nahe war, rutschte auch mir der Boden unter den Füßen weg. Vielleicht geschah das noch ein wenig heftiger und einschneidender, als das, was den Menschen heute widerfährt, aber im Grunde war die Erfahrung ähnlich. Die Welt – meine Welt – war auf einmal nicht mehr dieselbe. Sie veränderte sich direkt vor meinen Augen und ich konnte nichts dagegen tun. Ich fühlte mich total hilflos! Nichts hat mehr eine Rolle gespielt. Was mir zuvor noch wichtig erschien, versank plötzlich in der Bedeutungslosigkeit. Die Aussicht auf ein baldiges Eigenheim – belanglos. Meine total spannende und erfüllende Arbeit – völlig unwichtig. Mein großes Netzwerk aus Familie, Verwandten und Freunden – konnte mich nicht trösten. Ich rutschte immer schneller und schneller in einen Abgrund. War Viktorias Zustand vorübergehend besser, war es (sinnbildlich) so, als könnte ich Wurzeln oder sonstige Rettungsanker greifen um mich festzuhalten. Doch nur kurz darauf verschlimmerte sich ihr Zustand noch weiter, und wenig später befand ich mich im freien Fall. Ohne zu wissen, was dort unten war.

Ich weiß, wie es sich anfühlt, zu fallen. Wie es sich anfühlt, wenn gewohnte Strukturen des eigenen Lebens auf einmal wegbrechen; wie es ist, wenn der Sinn hinter dem Erlebten nicht zu sehen ist. Ich hatte Angst, fühlte mich total leer. Ich wollte, daß das aufhört. Ich wollte mein altes Leben zurück. Doch jeden Tag nahm die Gewissheit zu – es wird nie wieder so sein wie vorher. Nie wieder! Ich weiß, wie es ist, wenn das eigene Weltbild wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt und man sich plötzlich in einer veränderten und düsteren Grundstimmung vorfindet – entmutigt, resigniert, angsterfüllt.

Nun mag man vielleicht einwerfen, daß man den Verlust eines Kindes doch nur schwer mit der heutigen Situation vergleichen kann. Ich will es aber dennoch tun, und zwar aus dem einfachen Grund, weil bei allen Erfahrungen stets nur die individuelle Sicht zählt. Aus der Sicht eines einzelnen Menschen gibt es durchaus große Gefühls-Parallelen zu meiner damaligen Situation. Daher möchte ich diesen Menschen gerne erzählen, was mich damals aufgefangen hat; wie es mir damals gelang, wieder auf die Beine zu kommen. Ich möchte sogar noch einen Schritt weitergehen. Einen großen Schritt – nein, einen Riesenschritt! Ich stelle mich vor euch hin und sage:

„Ich möchte meine persönliche Krise, ein Kind verloren zu haben, nicht missen!“

Versteht mich nicht falsch, ich machte damals die schlimmste Zeit meines Lebens durch. Aber ich habe rückblickend etwas Großartiges gewonnen. Etwas, das man nicht einfach mal eben jemand anderem zwischen Tür und Angel nahebringen kann. Auch hier auf diesen Seiten kann ich nur mit spärlichen Worten versuchen zu umschreiben, welch unglaublichen Erkenntnisgewinn ich aus dieser Erfahrung mitnahm. Viktorias Gastspiel, ihre Krankheit und letzlich auch ihr Abschied, die gesamte Erfahrung mit ihr stellt heute für mich die größte Kraftquelle meines Lebens dar. Sie markiert einen Wendepunkt in meinem Dasein, eine Offenbarung meiner Wahrnehmung, ja, nichts geringeres als eine Revolution meines Weltbildes! Diese Erfahrung ist heute mein größter Schatz und ich möchte ihn nie wieder hergeben! Sie setzte in mir einen Entwicklungsprozeß in Gang, der bis heute nicht wieder zum Stehen kam. Ich habe darüber schon einmal geschrieben, in meinem Artikel „Gedanken“ – kurz nach Viktorias Tod.

So. Und nun kommt Corona ins Spiel. Stellt euch vor, ihr erzählt in fünf, zehn oder zwanzig Jahren jemandem von eurer Erfahrung, die ihr in genau diesen heutigen Wochen macht. Und stellt euch nun vor, ihr könntet demjenigen sagen, daß euch diese Krise zu einer unglaublichen Wendung in eurem Leben geführt hat. Das, was sich damals so furchtbar angefühlt hatte, stellte sich im Nachhinein als glückliche Fügung heraus und bescherte euch ein viel reicheres Leben, als ihr es zuvor zu hoffen wagtet. Fühlt sich das nicht wunderbar an?

Je tiefer eine Krise desto größer die sich daraus ergebenden Wachstums-Chancen. Ich möchte euch sagen: Nutzt die Zeit, die ihr aktuell geschenkt bekommen habt. Nutzt sie, um etwas für euch selbst zu tun, um etwas für euer Selbst zu tun! Nutzt sie, um euer Weltbild zu erweitern. Sucht nach Antworten auf die Fragen, die sich gerade in euch Bahn brechen. Beginnt damit, Dinge zu tun, die ihr „schon immer mal“ machen wolltet, aber nie die Zeit dazu gefunden hattet. Das kann die ständig aufgeschobene Heimverschönerung sein, die Gewohnheit, sich regelmäßig zu bewegen oder zu meditieren, der Wunsch, sich manchen Menschen mitzuteilen oder Ihnen Gutes zu tun. Wartet nicht auf die nächste Chance. Jetzt ist die beste Gelegenheit, die ihr kriegen könnt. Genau jetzt!

„Gelegenheit – aha. Und was soll ich jetzt genau machen?!“

In meiner persönlichen Krise mit Viktoria half mir damals ein Denkanstoß wieder auf die Beine. Am Anfang stand dieses Buch, durch das ich meine Hoffnung wieder erlangte. Es ermutigte mich, mich noch mehr mit Dingen zu beschäftigen, die jenseits meines damaligen Ereignishorizonts lagen. Es war der Grundstein für einen – wie ich finde – enormen Bewußtseinssprung und dafür, daß ich diese ganze Erfahrung in etwas wundervolles und kostbares verwandeln konnte.

Besonderes Augenmerk möche ich aber auf die Bücher von Neale Donald Walsch und seine „Gespräche mit Gott“-Reihe richten, über die ich auch schon hier in diesem Blog schrieb (z.B. „Gespräche mit Gott“ Band 1, 2 und 3 oder „Neue Offenbarungen“ ). Ich las darin Dinge, die ich vorher noch nie gehört hatte. Ich fand darin Erklärungen für Gegebenheiten und Ereignisse, die sich mir zuvor nicht erschlossen. Ich las darin Antworten auf Fragen, von denen ich nicht einmal wußte, daß sie mich interessierten. Seine Bücher haben maßgeblich dazu beigetragen, daß ich nicht in meiner Krise steckenblieb, sondern daß ich sie heute als meinen größten Durchbruch ansehe, als unwahrscheinlichen Segen.

Vielleicht haben Neales Bücher auch einen solch horizonterweiternden Einfluß auf euch – gebt dem eine Chance! Es ist beinahe egal, welches Buch von ihm man zuerst liest. Die Bücher handeln alle von den großen Themen des Lebens. Sie ähneln sich sehr und doch bietet jedes, das ich kenne, einen etwas anderen Blickwinkel auf das Gesagte. Ich habe in letzter Zeit sehr wenig Zeit zum Lesen gefunden, daher finden sich unter meinen Rezensionen auch keine der aktuellen Titel von Neale. Ich habe aber eine kleine Auswahl-Liste seiner Bücher erstellt, die auch neuere Titel enthält. Greift einfach zu dem, das euch anspricht. Hier noch ein Netzfund einer bekannten Sängerin – ein Beispiel dafür, wie die Botschaft von Neales Büchern wirken kann (auf Youtube ansehen).

Die gesamte Corona-Situation zwingt uns aktuell, zur Ruhe zu kommen. Ruhe ist die Grundvoraussetzung für inneres Wachstum. Es hilft uns nichts, im Außen nach etwas zu suchen, denn persönliche Entwicklung kann nur im Innern stattfinden. Momentan mögen unsere Freiheiten auf gesellschaftlicher Ebene eingeschränkt sein – wahre Freiheit ist jedoch etwas, das in uns persönlich stattfindet. Ein von außen kommender Denkanstoß kann etwas in Gang setzen, das sich verselbständigt und zu etwas Wundervollem heranwächst. Große Veränderungen beginnen immer im kleinen, im privaten, auf persönlicher Ebene. Nährt man diese, können sie zu etwas heranwachsen, das größer ist als man selbst. Individuelle Veränderungen ziehen Veränderungen in der unmittelbaren Umgebung nach sich, diese wiederum verursachen Veränderungen auf gesellschaftlicher Ebene, und schließlich schlagen diese Veränderungen auch global durch. Stets beginnt es mit dem, was man als das universelle Instrument der Schöpfung bezeichnen kann – hochansteckend, resistent, das mächtigste Werkzeug des Universums:

Ein Gedanke.

Last mich wissen, was ihr denkt. Diskutiert mit mir! Ich als Kopfmensch liebe es, mit Gedanken zu spielen, diese leidenschaftlich hin und her zu wälzen, immer auf der Suche nach noch mehr Erkenntnis. Dazu gehört stets auch der Mut, sich bereits Einverleibtes wieder loszulassen, wenn es sich als nicht nützlich erweist. Hinterlasst mir gerne ein Feedback mit euren Gedanken zu all dem – gleich hier oder im Gästebuch. Ich würde mich freuen.

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Der Fluß der Zeit

Huchschonsospätichwolltdochnochneneintragverfassen… 🙂

In der Tat, der letzte Blog-Eintrag ist schon eine ganze Weile her, man möge es mir nachsehen. Mit zwei kleinen Kindern als Hauptpersonen im Leben wird die freie Zeit, die man nur für sich zur Verfügung hat, doch deutlich eingedampft. Aber ich beschwere mich nicht, ich bin sehr, sehr froh, daß ich mich um zwei kleine Kinder kümmern darf.

Und Viktorias Schwestern gedeihen prächtig und machen uns richtig viel Freude. Hier sieht man uns bei einem Ausflug letzten Sommer zu Viktorias Grab.

Besuch von Viktorias Grab

Besuch von Viktorias Grab

Ach ja, richtig, wie ihr sehen könnt hat ihr Grab mittlerweile einen Stein. Darüber wollte ich ja auch noch einen Eintrag schreiben… Es hat ein wenig gedauert, bis Ute den „richtigen“ gefunden hatte – ich habe mich da ziemlich rausgehalten. In praktisch jeder fremden Stadt sind wir auch immer über die Friedhöfe spaziert, um uns Anregungen zu holen. Und nach und nach hat sich ein Bild in ihrem Kopf geformt. Vielen Dank auch an den Steinmetz der Gemeinde, das Ergebnis gefällt uns eigentlich ganz gut. Was meint ihr?

Ein weiterer Grund für meine spärliche Freizeit sind die ständigen Arztbesuche, die wir mit Jasmin unternehmen. Leider hat sich zu Jasmins anfänglichen Mitbringseln nun noch eine angeborene Fehlstellung der Kniescheiben dazugesellt. Wir haben im letzten Jahr viele ärztliche und auch alternativmedizinische Meinungen eingeholt. Wir haben auch eine Gipsredressionstherapie versucht – leider mit unbekanntem Erfolg. Der behandelnde Arzt ist plötzlich selbst schwer erkrankt und steht nicht mehr zur Verfügung. Und leider ist es halt oft so, daß man fünf Ärzte fragt und hinterher mit fünf Meinungen dasteht. Gut, in unserem Fall sind es drei Meinungen, aber das sind mir auch schon zwei zuviel.

Aber es ist doch so: Als Eltern muß man irgendwann eine Entscheidung treffen, denn auch eine falsche Entscheidung ist immer noch besser als gar keine. Und unsere Entscheidung basiert nicht nur auf dem Urteil der Ärzte sondern wird zum größeren Teil aus unserer Intuition bestimmt, jenem Gefühl, das man als Eltern quasi „eingebaut“ bekommt. Und dieses Gefühl sagt uns recht eindeutig, daß jetzt etwas passieren muß, denn Jasmin kann so nicht richtig laufen lernen. Wir werden also nicht umhin kommen, sie operieren zu lassen. Und zu allem Überfluß wird diese OP, so wie es gegenwärtig aussieht, auch noch im Olgäle in Stuttgart stattfinden, da dort nun einmal die Koryphäe auf diesem Gebiet arbeitet.

Ja, das ist für Viktorias Eltern eine besondere Herausforderung, denn wir verbinden sehr viel Viktoria mit diesem Krankenhaus. Zu unserem Glück ist das Olgahospital mittlerweile umgezogen, so daß in den neuen Räumlichkeiten für uns kein direkter Bezug zu unserem langen Krankenhausaufenthalt besteht. Dennoch beschleicht uns noch immer bei jeder Fahrt nach Stuttgart ein seltsames Gefühl und alte Erinnerungen bahnen sich ihren Weg. Nun, es sieht ganz so aus, als müßten wir da durch.

Es wirkt wie ein dickes, schweres Brett. Warum nochmal haben alle anderen so gesunde Kinder und wir nicht? War es nicht genug, ein krankes Kind in der Familie zu haben? Hallo Schicksal?! Was soll der Scheiß???

Hihi, ich glaube mir ja selbst nicht, wenn ich so denke… Nein, nicht mehr! Das ist keine Strafe! Das hier „geht nicht schief“! Es läuft genau so, wie es sein muß! Jasmin hat das genau so geplant, sie hat das ja alles mit auf diese Welt gebracht. Und sie hat sich uns als Eltern ausgesucht – warum auch immer. Vielleicht, weil wir schon soviel Ärzte- und Krankenhauserfahrung haben. Wer weiß das schon. Aber es ist auch gar nicht wichtig. Wichtig ist, daß sie Aufgaben für uns mitgebracht hat. Diese Aufgaben erscheinen schwer, manchmal auch sehr schwer. Aber seien wir doch mal ehrlich. Mit etwas Abstand betrachtet haben wir schon ganz andere Sachen durchgemacht. Jasmins „Schwierigkeiten“ sind totale pillepalle im Vergleich mit einer HLH oder einer anderen lebensbedrohlichen Krankheit.

Daher möchte ich an dieser Stelle Christian Morgenstern zitieren, denn schon er textete einst: Es ist ein Knie, sonst nichts. 🙂

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Licht und Schatten

Wenn ein Kind geboren wird, berühren sich Himmel und Erde und die Engel verstummen für einen Augenblick, um lächelnd den ersten Schrei des Neugeborenen zu vernehmen…

Wir wurden erneut reich beschenkt. In einer kalten Dezembernacht am 9.12. um 23:48 Uhr wurde unsere jüngste Tochter geboren. Herzlich Willkommen in unserer Mitte, Jasmin!

Jasmin und Elaine

Viktorias Schwestern Elaine und Jasmin

Es lief zunächst wie im Traum – unsere erste problemlose Geburt! Jasmin ging es gut, und so durfte sie sofort auf Mamas Brust. Das blieb ihren beiden Schwestern ja leider verwehrt. So hatten wir Eltern erst einmal in Ruhe Zeit, unseren Zuwachs zu begrüßen. Es war so wie es sein sollte, die Welt war rosa. Eine Geburt ist immer wieder ein kleines Wunder und wir durften erneut Zeugen sein.

Doch dann kam die U1 – und mit ihr ein seltsamer Beigeschmack, der so überhaupt nicht nach Vanille schmeckte. Unsere Jasmin brachte einiges mit in ihr neues Leben. „Klumpfuß auf einer Seite“ sagte man uns – muß sich der Orthopäde anschauen. Und die eine Hand auch, an der sie nicht alle Finger öffnen kann. Und als wäre das nicht schon genug gewesen, wurden wir auch noch auf eine Hornhauttrübung an einem Auge hingewiesen. Natürlich mit dem Hinweis, das einem Augenarzt zu zeigen.

Unsere anfängliche rosa Brille zersprang und ein seltsames Gefühl stellte sich bei uns ein – was würde da auf uns zukommen? Ist Jasmin schwer krank? Reicht denn ein krankes Kind in der Familie nicht?

Nun haben wir wahrlich Schlimmeres erlebt – ihr Klumpfuß hat eine sehr gute Prognose bei erfolgreicher Therapie nach Ponseti, bei der Hand ist auch keine akute Panik angesagt und selbst wenn sie wegen ihrer Augenprobleme komplett blind wäre (was sie definitiv nicht ist), könnte sie damit ein erfülltes Leben haben. Dennoch fanden wir es zu Beginn recht schwer, unsere süße Tochter in vollen Zügen zu genießen, ohne ständig an ihre Probleme zu denken.

In den ersten Wochen waren wir aufgrund ihrer Mitbringsel bei vielen Arzt-Terminen. Wir sind teilweise von Termin zu Termin gehetzt, um Jasmin möglichst frühzeitig die richtige Behandlung zukommen zu lassen. Außerdem beschleicht uns immer mal wieder das Gefühl, daß zwischen all ihren Symptomen ein Zusammenhang bestehen könnte – sie befinden sich allesamt auf der rechten Körperhälfte, einschließlich einer seltsamen Narbe auf ihrem Rücken. Trägt sie etwa eine andere seltene Krankheit in sich, die nur noch nicht erkannt wurde?

Es ist einer Krankenschwester zu verdanken, daß unser Jammern über Jasmins Wehwehchen wieder ins rechte Licht gerückt wurde. Vorige Woche bekam ich morgens um 8.00 Uhr einen Anruf aus dem Olgahospital in Stuttgart – dort wurde damals Viktoria behandelt. Eine Krankenschwester meinte, sie hätte hier die Untersuchungsergebnisse von Jasmins Nabelschnurblut bzgl. Viktorias HLH-Krankheit und sie wollte von mir bestätigt haben, daß wir diese auch bekommen haben. Ich spürte einen Adrenalinstoß meinen Körper durchströmen und verneinte. Natürlich fragte ich nach, was denn drin stünde. Aus ihrer Antwort konnte ich irgendwie „Compound heterozygot“ heraushören. Auf meine Nachfrage, was das nun bedeute, wurde ihr anscheinend erst bewußt, was hier gerade passiert und sie bekam kalte Füße. Sie wüßte das selbst nicht und würde der diensthabenden Oberärztin Bescheid sagen. Die würde uns dann zurückrufen, sobald sie Zeit habe. Auch auf meine drängende Nachfrage, sie solle den Zettel doch bitte komplett vorlesen, wollte sie sich nicht in die Nesseln setzen und verwies mich auf die Oberärztin. Wir beendeten das Gespräch und Ute und ich waren so schlau wie vorher – außer daß klar war, daß das Ergebnis nach vier Wochen endlich feststeht. Aber wie lautet es?!?!

Kurz darauf war mein Adrenalin wieder abgebaut und meine Zuversicht wie vor dem Telefonat weiterhin ungebrochen. Ich mußte sowieso zu einem Termin und hätte den Anruf der Ärztin abwarten können. Dummerweise fing Ute an, in unseren Unterlagen zu kramen und fand den Ausdruck „Compound heterozygot“ tatsächlich – es war das Ergebnis von Viktoria!!!

Ute teilte mir das völlig aufgelöst am Telefon mit, denn ich war bereits aufgebrochen. Es ist nicht zu beschreiben, was in diesem Moment mit einem passiert. Es ist, als übernähme die Angst die Kontrolle im Gehirn. Ich war stets sehr zuversichtlich, daß dieser Moment nie eintreten würde. Sicher kamen immer mal wieder Zweifel, doch verflogen diese meist so schnell wie sie kamen. Aber das war jetzt anders. Ganz anders! Mir wurde schlecht, ich bekam einen trockenen Mund, konnte nicht mehr denken. Ein Film spielte sich in meinem Kopf ab, ein Film davon, was jetzt kommen würde. Er fühlte sich furchtbar an. Ich wollte ihn nicht sehen, er sollte nie gedreht werden! Nein, das kann nicht sein, das darf nicht sein! Da ich zu diesem Zeitpunkt bereits im Auto saß, konnte ich meinen Gedanken nicht entfliehen. Sie trieben ihr böses Spiel mit mir.

Endlose 45 Minuten später kam ich bei meinem Termin an. Ich muß ausgesehen haben wie ein Gespenst, denn meine Gesprächspartnerin hat mir sofort angesehen, daß hier etwas nicht stimmt. Nach Erklärung der Lage drängte sie mich dazu, keine Zeit zu verlieren und sofort diese Oberärztin anzurufen. Gute Idee. Ich telefonierte mich über die Pforte zur Ärztin durch und erreichte sie tatsächlich. Dann kamen die erlösenden Worte.

Jasmin hat Viktorias Krankheit nicht, sie ist HLH-frei!

Unbändige Freude

Die Krankenschwester hatte „Compound heterozygot“ anscheinend bei Viktorias Diagnose gelesen, die ebenfalls auf dem Untersuchungsergebnis von Jasmin stand. In diesem Moment fielen mir etwa drei Felsbrocken vom Herzen und Ute beim unmittelbar folgenden Telefonat noch ein paar mehr. Was für eine Erleichterung! Leser dieses Blogs wissen, was das bedeutet. Ute und ich konnten am eigenen Leib fühlen, was es für unser Leben bedeutet. Es ist unbeschreiblich, Worte genügen nicht.

Ja, diese Krankenschwester hätte niemals so unverblümt diesen Anruf tätigen sollen, geschweige denn irgendeinen Informationsbrocken wie diesen durch die Leitung schicken. Aber ihr Fehler rückt Jasmins Mitbringsel für uns wieder ins rechte Licht. Verglichen mit einer HLH sind das alles völlige Peanuts.

Alles, was Jasmin mit auf diese Welt mitgebracht hat, sind Aufgaben für sie und ihre Eltern. Wir werden alles dafür tun, daß sie trotz ihrer Handicaps den bestmöglichen Start in ihr hoffentlich noch langes Leben bekommen wird. Jasmin, es ist uns eine Ehre, deine Eltern sein zu dürfen! Wir werden dich nicht im Stich lassen!

In Liebe,
Ute und Ecke

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Familienglück

Nun ist es über zwei Jahre her, daß ich hier von Viktorias ungeborenem Geschwisterchen schrieb. Damals wußten wir noch nicht, daß es ein Mädchen war, daß sich anschickte, Viktorias Schwester zu werden. Und wir wußten auch nicht, daß es ein kerngesundes Mädchen war – ohne Viktorias Krankheit. Welch ein Segen!

Seitdem ist viel Wasser den Rhein und auch unsere Kloschüssel heruntergeflossen. Wir haben uns oft gefragt, wie es wohl wäre, wenn Viktoria noch bei uns wäre. Wie ist das wohl mit zwei Kindern? Wird es für die Eltern anstrengender, weil beide Aufmerksamkeit wollen? Oder wird es einfacher, weil sie miteinander spielen? Wie ist das, wenn man zwei Kinder gleichzeitig hat?

Wir würden es wirklich gerne herausfinden. Nun, mit Viktoria klappt das nicht mehr – sie hatte etwas anderes vor. Aber es gibt ja noch eine weitere Möglichkeit – eine, die Elaine zur großen Schwester werden läßt…

Sofort tauchen Stimmen in unseren Köpfen auf:
Sprechblasen
Aber es ist doch so: Die besten Entscheidungen trifft nicht der Kopf – sie werden mit dem Herzen getroffen. Es war eine unserer besten Entscheidungen zu versuchen, Kinder zu bekommen. Es war eine der besten Entscheidungen von Viktoria, zu uns zu kommen. Und es war eine unserer besten Entscheidungen, Viktoria in Liebe gehen zu lassen.

Wir haben nun erneut entschieden – und eine kleine Seele hat ebenfalls eine Entscheidung gefällt. Ob diese für alle Beteiligten zu den besten zählen wird? Vermutlich wird man das nur rückblickend sagen können.

Wir sind voller Vorfreude und Dankbarkeit. Viktoria und Elaine bekommen Anfang Dezember ein weiteres Geschwisterchen. 🙂

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Geschwister

Wieder ist ein Jahr vergangen. Ein sehr erlebnisreiches Jahr. Mein Plan, wieder mehr Viktoria in mein Leben einzubauen, hat nicht unbedingt gut funktioniert. Zuviel Alltag ist mir im Weg – zu viele Dinge, die „man unbedingt tun muß“. Ich weiß zwar genau: Ich muß überhaupt nichts. Niemand muß müssen! Aber um das auch zu leben, muß ich mich jeden Tag aufs Neue daran erinnern (schon wieder etwas, was ich „muß“), und das gelingt mir nicht immer.

Wißt ihr, Kinder sind etwas wunderbares. Sie machen es einem viel leichter, das Wichtige im Leben vom Unwichtigem zu unterscheiden. Viktoria hilft mir dabei sehr. Ein Gedanke an sie genügt und das Gefühl ist wieder da, daß sie ganz einfach zum Wichtigsten in meinem Leben zählte – und noch immer zählt. Und schon ist der ganze andere Kram nicht mehr so wichtig.

Und auch Viktorias kleine Schwester bezaubert mich jeden Tag aufs Neue. Elaine ist nun anderthalb Jahre alt und entwickelt sich, lernt und entdeckt die Welt in einem atemberaubenden Tempo. Als Viktoria in ihrem Alter war, war sie bereits schwer krank und hat uns sorgenerfüllte Tage und schlaflose Nächte bereitet. Sie hat so sehr viel geschrien.

Eltern vergleichen ja gerne ihre Kinder. Bis zum Alter von 10-11 Monaten hat das auch bei uns funktioniert, doch es macht nun keinen Sinn mehr. Viktoria war durch ihre Hirnverletzung einfach viel zu weit von der Normalität entfernt. Elaine dagegen läuft, plappert, spielt, ja sie schäkert sogar mit uns und anderen. Für die meisten Eltern ist das eine Selbstverständlichkeit. Aber da wir es auch ganz anders kennen, ist es für uns ein kleines Wunder. Obwohl Elaine unser zweites Kind ist, ist alles was nun noch kommt völliges Neuland für uns. Spannend und schön! Danke, daß du bei uns bist, Elaine!

Ich habe hier noch einen echten Schnappschuß für euch. Dieses Bild ist bereits im Juli entstanden, kurz nachdem Elaine laufen konnte. Es hat fast den Anschein, als würde da doch noch eine Beziehung zwischen den beiden Geschwistern entstehen. Schaut doch mal, ist das nicht zuckersüß?! Mir kommen dabei fast die Tränen.

Elaine und Viktoria

Elaine und Viktoria

Allen Lesern ein wundergutes Jahr 2015!

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Gegen das Vergessen

Wieder ein Jahr liegt hinter uns. Ohne Viktoria. Heute ist ihr vierter Geburtstag – zwei Jahre nachdem sie zu den Sternen reiste.

Wir haben keine große Feier geplant. Es werden keine Kinder zu uns kommen und mit ihr durch das Haus toben. Es bleibt relativ ruhig. Schade. Ute hat ein paar Muffins gebacken und wir denken mit Elaine gemeinsam an Viktoria. Auch ihre kleine Schwester hatte vor kurzem Geburtstag, jedoch ist sie mit einem Jahr noch zu klein, um zu verstehen, daß sie eine große Schwester hat, die sie nie kennenlernen wird.

Ich spüre, wie das Thema Viktoria ein wenig in der Versenkung verschwunden ist. Nicht nur in unserem Umfeld, wo das natürlich verständlich ist, sondern auch bei uns selbst. Zwar vergeht noch immer kein Tag, an dem wir nicht an ihr strahlendes Wesen denken. Jedoch, es hat deutlich nachgelassen – und wurde über die Zeit immer seltener und seltener, immer weniger und weniger. Unsere Gedanken und auch unsere Gespräche streifen Viktoria nur noch kurz und enteilen dann schnell wieder woanders hin. Gespräche mit anderen über Viktoria gibt es beinahe überhaupt nicht mehr. Haben die Menschen Viktoria vergessen? Oder meiden sie uns gegenüber dieses Thema aus Angst, sie könnten uns verletzen? Ich weiß es nicht.

Und ist das denn schlimm? Nein, nicht wirklich. Aber es ist schade. Verdammt schade. Vor zwei Jahren wurden wir von Viktorias Tod daran erinnert, was wirklich im Leben zählt, worum es hier wirklich geht. Ich konnte das fühlen! Ich fühlte mich aufgerüttelt, beschenkt, geerdet – dankbar. Ja, dankbar für ihre Botschaft! Nun muß ich diese Zeilen schreiben, um dasselbe Gefühl wieder in mir wachzurufen. Im Alltag ist das irgendwie verlorengegangen. Meine Aufmerksamkeit ist ständig auf die profanen Dinge des Lebens gerichtet: das tägliche Brötchenverdienen, Arbeit rund ums Haus, Ärger mit Handwerkern und momentan natürlich auch Fußball (es war aber auch ein geiles Spiel gestern gegen Brasilien :)). Wenigstens Elaine schafft es abends und am Wochenende, mich immer wieder daran zu erinnern, daß die Zeit, die ich mit ihr verbringen darf keine Vergeudung ist (man könnte ja auch etwas werkeln, es gibt viel zu tun). Sondern daß genau die gemeinsam mit ihren Kindern verbrachte Zeit das größte Geschenk für Eltern darstellt. Es ist eine wahre Freude, ihr dabei zuzusehen, wie sie sich entwickelt.

Und doch fühle ich mich, als würde ich etwas vergessen – so als würde Viktoria langsam aber sicher aus meinem Leben verschwinden. Wie ein altes Foto im Sonnenlicht, das langsam ausbleicht – oder wie Spuren im Sand, die der Wind langsam aber sicher verwischt. Und genau das ist es, was mich stört! Ich möchte nicht, daß Viktoria zu einer Randnotiz in meinem Leben verkommt. Ich will nicht, daß ihr Besuch bedeutungslos wird. Es darf nicht sein, daß ihr Tod umsonst war! Ich muß wieder mehr Viktoria in meinen Alltag einbauen. Ich will wieder verstärkt ihre Geschichte in die Welt hinaustragen, möchte allen Menschen erzählen, wie stolz ich auf sie bin.

Viktoria, mein süßer Fratz. Ich wünsche dir alles Gute, wo auch immer du gerade bist. Sehen kann ich dich nicht und mein siebter Sinn ist sich nicht ganz sicher, ob er dich wirklich in meiner Nähe spürt. Aber ich kann immer zu dir sprechen, wenn mir danach ist und die Erinnerung an dich aufrecht halten. Es geht eigentlich auch gar nicht „gegen das Vergessen“ von dir. Es ist für mich unmöglich, dich zu vergessen. Aber ich möchte mich gegen das Vergessen deiner Botschaft stemmen und mir wieder mehr ins Bewußtsein holen, was du für mich, für Ute und für alle anderen getan hast. Ich liebe dich.

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Altes und Neues

Das Leben geht weiter – unser Leben geht weiter. Es waren schon besondere Momente, zum ersten mal den seit einem Jahr unbenutzten Wickeltisch wieder herunterzuklappen, zum ersten mal wieder ein kleines Wesen in den Händen zu halten, erneut wieder zu dritt in einem Zimmer zu schlafen. Elaine erinnert uns sehr an Viktoria und das nicht nur, weil sie ihre Kleidung trägt.

Portrait von Elaine, 8 Monate alt

Portrait von Elaine, 8 Monate alt

Trotz der Ähnlichkeit zu Viktoria ist Elaine aber doch anders als sie. Ganz anders. Sie tut andere Dinge, bewegt sich anders, ja sie ist überhaupt viel mehr darauf aus, sich zu bewegen. Seit einigen Wochen krabbelt sie nun vorwärts – da war sie nicht einmal 7 Monate alt. Es war für uns überwältigend zu sehen, wie sich unser Kind das erste mal selbst fortbewegt. Viktoria hat sich nie soviel bewegt wie sie. Obwohl wir schon genug andere Kinder beim Krabbeln gesehen haben, konnten wir uns trotzdem nicht ausmalen, daß unser eigenes Kind das auch einmal tun wird. Wir können nun gar nicht unseren Blick von ihr abwenden, wenn sie auf ihren kleinen Patsche-Händchen darauf los watschelt.

Elaine auf dem Küchenboden, 7 Monate alt

Elaine auf dem Küchenboden, 7 Monate alt

Beim Fortbewegen mag Elaine ihre Schwester bereits übertrumpfen, doch wenn es ums Essen geht, macht man Viktoria so schnell nichts vor. Sie war ganz begierig auf alles Eßbare – ob Brot, Brei, Bananen oder Gemüsestückchen. Es hat viel Spaß gemacht, ihr immer etwas Neues anzubieten. Ihre kleine Schwester hingegen spielt zwar gerne mit dem Essen, aber das Kauen und Schlucken sind ihr nicht ganz geheuer. Brei mag sie überhaupt nicht.

Aber jedes Kind hat seinen eigenen Zeitplan und ich bin mir sicher, daß man sich als Eltern ohne Bedenken ganz entspannt zurücklehnen und sein Kind genießen kann. Es entscheidet selbst, wann Zeit für etwas Neues ist.

Auch bei uns war es Zeit für etwas Neues. Seit einigen Wochen wohnen wir nun im Eigenheim. Wir mußten uns also von der Wohnung trennen, in der Viktoria groß wurde, von dem Ort, an dem sie krank wurde und wo sie letztlich in unseren Armen für immer einschlief. Viele Erinnerungen hingen in diesen vier Wänden, schöne Momente und weniger schöne Momente. Überall Viktoria – wohin man auch blickte.

Doch wir trauern der alten Umgebung nicht nach. Was wirklich von Viktoria in unserer Welt geblieben ist, das haben wir beim Umzug mitgenommen. Wir tragen unser Sternenkind stets in unserem Herzen, egal wo wir sind. Das ist nicht nur ein Spruch, das stimmt wirklich. Wer je wahrhaftig geliebt hat, kann das nachvollziehen.

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Bewegte Bilder

Ich habe ein Video zusammengebastelt, in dem in gut 4 Minuten Viktorias Lebensgeschichte erzählt wird. Es war gar nicht so leicht, mich auf einige wenige Bilder und Filmschnippsel zu beschränken – an seinen eigenen Kindern kann man sich natürlich auch nicht sattsehen. 🙂

Das Video hilft mir, meine Erinnerung an die Geschehnisse lebendig zu halten – es kommt mir bereits so weit weg vor. Es ist schön, an Viktoria zu denken, und dieses Video weckt bei mir auch heute noch die Emotionen von damals.

Aber urteilt doch selbst. Was meint ihr?

Für eine HD-Version unten rechts auf „vimeo“ oder hier klicken.

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Erwartungen

Zwei für uns immer noch besondere jährliche Ereignisse rückten durch Elaines Geburt etwas in den Hintergrund. Am 25. Juni jährte sich Viktorias Tod und bereits zwei Wochen darauf am 9. Juli war ihr Geburtstag. Wir haben Luftballons an ihr Grab gebracht und viel an sie gedacht. Und tatsächlich kam mir dieser Tag sehr traurig vor. Viktoria wäre nun drei Jahre alt geworden…

Stopp! Nein! Das wäre sie nicht! Sie wollte das doch gar nicht! Sicher, ich kann mir weiter vorstellen, wie denn alles gewesen wäre ohne ihre Krankheit. Ich kann mir weiter einreden, daß sie doch bei uns ein langes, glückliches Leben hätte haben können und ihr somit unterstellen, daß sie gar nicht gehen wollte. Doch das macht nicht nur keinen Sinn, weil es nicht so ist, nein, ihr ganzes Leben würde dadurch gering geschätzt und das hat sie wahrlich nicht verdient! Viktorias Erbe und ihre grandiose Hinterlassenschaft verdienen unsere volle Wertschätzung. Ich bewundere meine Tochter und ihren beschwerlichen, von ihr gewählten Lebensweg sehr. Sie wollte nie alt werden! Sie wollte nie laufen lernen! Nicht in diesem Leben. Sie wollte etwas viel wichtigeres tun, sie wollte uns zum Nachdenken bringen. Sie wollte, daß wir uns be-sinnen, zu unseren Sinnen zurückkehren und fühlen, was wirklich im Leben zählt und worum es hier eigentlich geht.

Ein Schlüsselelement ist die Erwartung. Erblicke ich ein kleines Mädchen in dem Alter, in dem Viktoria jetzt wäre, ertappe ich mich immer wieder dabei, mir vorzustellen, wie sie wohl gewesen wäre. Wie hätte sie sich bewegt? Wie gesprochen? Wie sähe sie wohl aus? Aber ich kann es mir überhaupt nicht vorstellen, ich schaffe es einfach nicht! Und daran merke ich auch, daß das völlig unpassend ist. Viktoria wird in meiner Vorstellung vermutlich immer zwei Jahre alt bleiben – und das macht überhaupt nichts!

Ich habe aus Viktorias Geschichte gelernt, daß ich meine Erwartungen loslassen muß – Erwartungen an meinen Job, eintretende Ereignisse, andere Autofahrer, vor allem aber Erwartungen anderen Menschen gegenüber. Ja, ich habe erwartet, daß Viktoria drei Jahre alt wird. Ich habe erwartet, daß sie eines Tages umherläuft und „Papa“ sagt und all diese Dinge. Ich möchte denselben Fehler (ich definiere mir hier selbst, was ich als „Fehler“ bezeichne) bei Elaine nicht noch einmal machen. Nicht um einer Enttäuschung vorzubeugen, die unweigerlich entsteht, wenn jemand die Erwartungen des anderen nicht erfüllt. Nein, es geht um Liebe. Nur wenn es mir gelingt, Elaine erwartungsfrei zu begegnen, kann sich wahre Liebe entfalten. Nur dann kann sie ihr volles Potential freisetzen.

Um Mißverständnissen vorzubeugen: Seine Erwartungen jemandem gegenüber abzulegen bedeutet nicht, auf Distanz zu ihm zu gehen. Sicher, wenn ich mich von jemandem abkapsle, schaffe ich es vielleicht auch, keine Erwartungen ihm gegenüber zu hegen. Doch ist dieses Verhalten sicherlich nicht der Beziehung förderlich. Es entzieht ihr Liebe, und ich möchte keine lieblosen Beziehungen führen. Liebe hat nichts mit Erwartung zu tun. Im Gegenteil: Erwartung mindert die Freiheit, und Freiheit ist die Essenz der Liebe! Darum ist es mein Bestreben, jegliche Erwartung Elaine und auch anderen Menschen gegenüber aufzugeben. Keine leicht Aufgabe… 🙂

Und nun zu der großen Seele, die uns auf die wichtigen Dinge des Lebens aufmerksam gemacht hat. Alles Gute zum Geburtstag, liebe Viktoria! Wir vermissen Dich noch immer sehr, doch wissen wir auch, daß Du – obwohl wir Dich nicht sehen können – gar nicht weit weg bist. Auch unsere ganze Familie hat am Wochenende zusammengefunden, um an Dich zu denken. Das neue Memory-Spiel mit lauter Bildern von Dir kam echt gut an und ich wette, Du hast gesehen, wie viel Spaß alle daran hatten. Du wirst immer zu unserer Familie dazugehören – solange wir leben.

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Sternenstaub und Freudenrausch

Wie ist das, wenn man ein Kind verliert?

„Nachdem du, Viktoria, gestorben bist und dein Körper nun in tausend Sterne zerfällt, wird jeder, der hinauf zum Himmel blickt, sich in die Nacht verlieben.“

Und wie ist das, wenn man ein Kind bekommt?

Gefühle, die man nicht beschreiben kann.
Liebe, die in Erfüllung gegangen ist.
Gewißheit, das Wertvollste dieser Erde in den Armen zu halten.

Am Sonntag, den 16. Juni 2013 um 22:10 Uhr war es soweit. Sie wollte uns nicht länger auf die Folter spannen und ihr zu eng gewordenes Domizil in Mamas Bauch verlassen. In dieser Nacht bekam Viktoria eine kleine Schwester!

Viktorias Schwesterchen

Name: Elaine
Alter: blutjung
Haarfarbe: dunkelblond
Augenfarbe: stahlblau
Größe: füllt unsere kleinsten Klamotten
Gewicht: kann mit einer Hand getragen werden
Charakter: ausgeglichen, neugierig, durchsetzungsstark
Vorlieben: Mamas Busen
Abneigungen: kein Busen

Und um die Eltern noch glücklicher zu machen, bekamen diese heute mittag eine Nachricht aus dem Labor, das Elaines Nabelschnurblut untersuchte…

Elaine ist HLH-negativ!

Calvin und Hobbes tanzen

Sie trägt somit nicht die gleiche Krankheit wie Viktoria in sich. Heute umarmen wir die Welt!

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Horizonterweiterung

Seit kurzem gibt’s auf Vickys Blog eine neue Rubrik, unter der ich ausgewählte Bücher bzw. Filme vorstelle und meinen unzensierten Senf dazugebe. Sie alle haben etwas mit Leben und Tod zu tun, sind irgendwo philosophisch wertvoll oder befassen sich mit spiritueller Entwicklung – und manche sind einfach nur unterhaltsam.

Bevor ihr jetzt abwinkt: Bitte nicht Spiritualität mit Religion verwechseln! Bei der Religion geht es darum, vorgefertigte Denkmuster zu inhalieren. Spiritualität hingegen ist ein dem Menschen innewohnender Impuls, selbst nach Antworten zu suchen. Nach Antworten auf die „großen Fragen“ des Lebens. Warum bin ich hier? Was soll das alles hier? Warum sind die Dinge so und nicht anders? Warum wurde mir heute schon wieder der letzte Parkplatz weggeschnappt? Oder eben auch: Warum muß ich so leiden? Warum ist mein Kind gestorben?

Aber Spiritualität ist noch mehr als das. Spiritualität ist Bewußtsein und Ausdruck. In der Art und Weise, wie ich mein tägliches Leben lebe, drücke ich meine Spiritualität aus. Tue ich das, was ich tue bewußt? Oder laufe ich den ganzen Tag auf Autopilot herum und frage mich abends, was ich heute eigentlich getan habe?

Spiritualität ist etwas, daß jeden Menschen angeht. In seinem tiefsten Innern interessiert sich auch jeder Mensch dafür – den Zeitpunkt, wann wir uns damit beschäftigen, legt jedoch jeder von uns selbst fest.

Doch nun genug der Vorrede: Hier geht’s zur neuen Rubrik „Bücher/Filme“.

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Veränderung

Auch wenn die Griechen heute Pleite sind – einige der frühesten und größten Philosophen waren hellenischer Herkunft. Das hier von Heraklit von Ephesos ist 2500 Jahre alt:

Die einzige Konstante im Universum ist die Veränderung.

Diese Aussage hat durch die Jahrtausende nichts von ihrer Wahrheit eingebüßt. Augenscheinlich mag diese Weisheit nicht sehr tiefsinnig erscheinen. Wie wichtig sie tatsächlich ist, erkennt man jedoch durch die Beobachtung, wie sehr wir Menschen an Altem festhalten und wie oft wir Neues fürchten. In bekanntem und vertrautem Terrain wähnen wir uns geschützt und sicher und zwar so sehr, daß wir ein sehr hohes Maß an Leid akzeptieren, nur um diese vermeintliche Sicherheit nicht aufgeben zu müssen. Jede Veränderung des Status Quo gefährdet diese illusorische Sicherheit – daher haben wir erst einmal Angst davor.

Ich höre oder lese oftmals, die Angst der Menschen vor Veränderung sei natürlich. Sie sei ein Relikt der Evolution, weil Neues prinzipiell erst einmal unser Leben bedrohe und wir daher instinktiv mit Angst reagieren. Ich möchte dieser Ansicht hier ganz vehement widersprechen! Eine solche Angst mag normal sein, aber sie ist in meinen Augen keineswegs natürlich! Schaut euch an, wie ganz kleine Kinder auf Neues reagieren. Ich erinnere mich noch genau, wie das bei Viktoria war. Als sie zu Greifen begann, lag jedesmal, wenn ich ihr etwas Neues in die Hand gab, ein unglaublich faszinierter Ausdruck in ihrem Gesicht. Das neue Dingsbums wurde eindringlich untersucht, hauptsächlich natürlich mit dem Mund. Von Angst war da nichts zu sehen.

Stellt euch ein Kleinkind vor, daß auf dem Spielplatz etwas Unbekanntes im Sand findet. Instinktiv blickt es zunächst einmal fragend zur Mutter, um sich die Unbedenklichkeit bescheinigen zu lassen. Fällt deren Gesichtsausdruck nicht zu Boden, so gilt das neue Dings als ungefährlich und wird in Beschlag genommen und untersucht. Natürliche Angst vor etwas Unbekanntem sieht für mich anders aus.

Und wie steht es mit dem Umgang mit Menschen? Neugeborene haben keine Angst vor Fremden, das weiß jeder. Nach einigen Monaten stellt sich jedoch das sogenannte Fremdeln ein. Kinder fangen urplötzlich an zu weinen, wenn sie ein fremdes Gesicht sehen. Aber ist das Angst? Für mich ist das ein Ausdruck von Unsicherheit und von Überrumpelung. Das Gehirn hat erst kürzlich gelernt, zwischen bekannten und unbekannten Gesichtern zu unterscheiden und urplötzlich sieht sich das Kind mit einer neuen Emotion konfrontiert, nämlich dem Gefühl des „die oder den kenne ich gar nicht“. Diese Erfahrung kann tatsächlich schockierend sein, so daß den Kindern die Tränen kommen. Meist genügt es dann, wenn die Mutter das Kind auf den Arm nimmt und ein paar Schritte Abstand hält, so daß von diesem sicheren Bereich aus der Fremde studiert werden kann. Die Angst vor Neuem kann ich darin nicht sehen, eher ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Sicherheit und Geborgenheit – welches zweifellos natürlich ist.

Halte ich mir das vor Augen, ist für mich klar: Angst vor Veränderung ist nicht natürlich! Ich denke, daß wir Erwachsenen den Kindern im Laufe ihres Lebens antrainieren, Veränderungen als Bedrohung wahrzunehmen – durch unsere Verhaltensweisen und durch das Vorleben unserer eigenen Neurosen. Doch Veränderung ist allgegenwärtig, sie ist ein natürlicher Bestandteil des Lebens. Ja, sie ist das Leben selbst! Es liegt in der Natur des Menschen, Veränderungen zu bewirken – an sich selbst und seiner Umwelt. Ein Mensch, der ewig an derselben Stelle verharrt, kämpft gegen seine Natur. Veränderung ist also ein wesentlicher Bestandteil unserer Existenz.

Ute und ich sind gerade voller Vorfreude auf die uns bevorstehende Veränderung. Sicher, wir wissen nicht, was auf uns zukommt. Wir wissen nicht, welchen Weg dieses Kind gehen wird. Aber wir wissen genau, daß wir es lieben werden – egal, ob es krank oder gesund sein sollte. Unsere Erfahrung mit Viktoria hat uns gezeigt, daß wir diese Liebe in uns haben und daß wir diese auch weitergeben können. Damit haben wir vielen anderen werdenden Eltern etwas voraus. Niemand hat eine Garantie auf ein gesundes Kind. Es mag sein, daß unsere Chancen rein rechnerisch schlechter stehen als bei anderen. Doch kann man meines Erachtens keinen größeren Fehler begehen, als sein Leben an Statistiken auszurichten. So haben wir den Schritt ins Blaue gewagt und Umarmen die Veränderung, die auf uns zukommt. Es gibt keine passenden Worte, um zu beschreiben, wie sehr wir uns auf dieses Kind freuen.

Viktoria bekommt Ende Juni ein Geschwisterchen. 🙂

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Botschafter

Viktoria ist fort. In der seitdem vergangenen Zeit mußte ich immer wieder an die Bedeutung ihres Namens denken. Nachdem sie krank wurde, dachte ich immer, es konnte doch kein Zufall gewesen sein, daß wir sie so genannt haben. Es hat sich stets für mich so angefühlt, daß ihr Name Programm sein wird. Sie wird siegen! Sie wird das schaffen, wofür sie hier hergekommen ist. Unter diesem Sieg habe ich mir natürlich ihre Gesundung vorgestellt. Ich habe mir ausgemalt, wie sie ein langes und „erfülltes“ Leben lebt. Und doch ist sie gestorben – mit nicht einmal zwei Jahren. Wo ist da der Sieg? Wo ist da die Erfüllung? Haben wir Viktoria doch den falschen Namen gegeben?

Ich denke nein. Ihr Name paßt! Hundertprozentig! Er paßt nur nicht zu meinem Gedanken, daß der Sieg in der Überwindung der Krankheit bestand. Er paßt nicht zu der Idee, daß ein erfülltes Leben darin besteht, daß man alt und grau wird, gesellschaftlichen „Erfolg“ im Leben hat, Kinder großzieht und den ganzen anderen Kram. Aber der Name Viktoria paßt ganz genau, wenn man davon ausgeht, daß es ihr Wunsch war, zu gehen. Er paßt, wenn man postuliert, daß die Dinge genau so verliefen, wie sie das „geplant“ hatte. Er paßt, wenn man bedenkt, was sie bei all den Menschen bewirkt hat, in deren Leben sie getreten ist. Selbst auf den Leser dieser Zeilen hat Viktoria einen Einfluß – in genau diesem Moment. Ihr Sieg und auch die Erfüllung ihres Lebens ist die Überbringung ihrer Botschaft an jeden einzelnen von uns.

Wie diese Botschaft lautet? Nun, die kann für jeden Menschen eine andere sein. Manchen sagt sie vielleicht, deine Probleme sind eigentlich gar keine Probleme. Anderen wiederum könnte sie sagen, genieße die Dinge in deinem Leben, anstatt sie kontrollieren zu wollen. Ebenso könnte sie sagen, es gibt mehr zwischen Himmel und Erde, als wir zu wissen glauben.

Was Viktoria speziell Dir, lieber Leser, sagen möchte, vermag ich nicht zu deuten. Das mußt Du selbst für Dich herausfinden. Wenn Du ehrlich zu Dir bist, weißt Du bereits die Antwort darauf. Wenn Du Dich Dir selbst gegenüber nicht verschließt, wirst Du erkennen, was Viktorias Geschichte und ihr Schicksal für Dein Leben bedeuten.

Ich für meinen Teil habe eine spirituelle Seite an mir entdeckt, von der ich nicht wußte, daß sie existiert. In der Vergangenheit waren meine Erfahrungen mit dem, was als Religion bekannt ist, gelinde gesagt enttäuschend. Evangelisch getauft und konfirmiert erlebte ich die christliche Kirche als ein System, das aus Dogmen, Abgrenzungen und Unlogik besteht. Auf meine Fragen erhielt ich keine befriedigenden Antworten. Die oft gehörte Aussage „Gottes Wege sind unergründlich.“ genügte mir in keiner Weise – weder verstandesgemäß noch emotional.

Durch Viktoria habe ich etwas gefunden, was diese Lücke in meinem Leben füllte. Ja, durch meine Tochter bemerkte ich erst, daß diese Lücke überhaupt existierte! Ich fand etwas, das so dermaßen logisch ist, etwas das meine bisherige Weltanschauung um eine neue Dimension ergänzte, daß ich mich frage, warum ich das nicht bereits vorher schon gesehen habe. Ich möchte die Erfahrung, die mir Viktoria zuteil werden ließ, nicht missen. Ich habe ihre Botschaft für mich verstanden und bin ihr dafür zutiefst dankbar. Jeden Tag aufs Neue.

Nun fragt Euch selbst: Was ist Viktorias Botschaft für mich?

Ein Zitat von Rossiter W. Raymond, gelesen im Buch „Zuhause in Gott“ von Neale Donald Walsch:

„Das Leben ist ewig; und die Liebe ist unsterblich; und der Tod ist nur ein Horizont; und ein Horizont ist nichts weiter als die Grenze unseres Sehvermögens.“

Jeder Mensch fungiert als Bote Gottes, manche tun das im Kleinen, manche im Großen.

Ich kann mir keinen besseren Botschafter Gottes vorstellen als ein kleines goldiges Kind.

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Erfüllung

Weil es vom Thema so gut paßt, möchte ich auf einen Spiegel-Online-Artikel hinweisen. Es geht darin um Palliativmedizin für todkranke Kinder. Insgesamt ein guter Artikel, doch einen Satz konnte ich dort nicht unkommentiert stehenlassen:

„Ein totes Kind, das ist so viel schlimmer als der Tod eines Erwachsenen, der ein Leben gehabt hat.“

Ich weiß, daß viele Leser bei diesem Satz nicken werden. Doch ein erfülltes Leben besteht meiner Auffassung nach nicht darin, einem einfältigen gesellschaftlichen Ideal zu entsprechen. Wir bekommen suggeriert, daß ein langes Leben mit den üblichen Beigaben wie beruflichem Erfolg und Kindererziehung irgendetwas mit Erfüllung zu tun haben soll. Bei Klassentreffen hört man nur noch: „Mein Auto, mein Haus, mein Job, meine Frau, meine Kinder“… aber haben diese Menschen wirklich begriffen, warum sie hier sind? Sind sie wirklich glücklich in ihrem Leben? Haben sie Erfüllung erlangt oder sind sie gerade dabei?

Die vielen Menschen, die trotz des ganzen „Reichtums“ in ihrem Leben irgendwann in ein großes Loch stürzen, sollten uns Antwort genug sein. Nach der gängigen Auffassung sollten sie doch glücklich sein, haben sie doch Auto, Haus, Job und Familie. Sie haben erreicht, was die westliche Welt vorgibt. Doch irgendetwas stimmt trotzdem nicht, sie scheinen damit nicht erfüllt zu sein.

Aber kein Problem: Auch dafür hat unsere ach so fortschrittliche Gesellschaft die passende Ursache parat: Hormonumstellung! Ja, prima! Dann schlucken wir einfach eine Weile lang Tabletten und dann klappt’s auch wieder mit der Erfüllung. Gell?!

Genug der Polemik. Ich glaube, die Definition vom Sinn des Lebens ist so individuell verschieden, wie die Menschen es sind. Erfüllung ist rein subjektiv und niemand sollte diese einem – für unsere Maßstäbe – früh gestorbenen Kind aberkennen. Viktoria hat in ihrem kurzen Leben mehr bewegt, als so mancher, der erst im Greisenalter dahinscheidet.

Und wenn „die Gesellschaft“ uns sagt, wir müssen aber alt werden, um Erfüllung zu erlangen, dann ist sie meiner Meinung nach völlig auf dem Holzweg! Wie seht ihr das?

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Gedanken

Viktoria ist fort. Die Gedanken schweifen um die kostbaren Momente mit ihr. Wie goldig es war, wenn sie seufzte. Wie es sich anfühlte, sie im Arm zu halten. Welche Freude es machte, sie zu füttern. Wie sehr die Sonne in unsere Herzen schien, wenn sie uns ein Lächeln schenkte. Welch tiefe Liebe wir empfanden, mit ihr zu kuscheln und ihr beim Einschlafen in unseren Armen zuzusehen.

Die erste Nacht ohne sie in der Wohnung war seltsam. Still. Leer. Traurig. Unsagbar traurig. Auch die folgenden Tage waren schwer und sie sind es immer noch. Es fehlt einfach etwas. Etwas, das vorher da war. Und nun nicht mehr.

Ich denke an die letzten Tage zurück, als Viktorias toter Körper bei uns im Wohnzimmer lag. Immer wenn ich zu ihr kam, um sie zu streicheln und ihr mit den Fingern durchs Haar zu fahren, war es anders als zuvor. Es stimmte nicht mehr. Mein Gefühl sagte mir: Sie ist nicht mehr da drin. Das ist nur noch eine leblose Hülle. Das was sie war, das was sie ausmachte, der Mensch, der wirklich uns geschenkt wurde – der ist nicht mehr in diesem langsam verwesenden Behältnis. Man mag daran glauben oder auch nicht, daß wir mehr sind, als nur ein paar mehr oder weniger zufällig miteinander kooperierende Zellen. Wenn man dieses Erlebnis macht – dem Körper eines Nahestehenden beim Zerfall zuzuschauen – dann erscheint es einem nicht mehr möglich, daß so ein Zellhaufen ohne eine steuernde Instanz funktionieren kann. Was ist denn jetzt an diesem Dings anders als vorher?! War der Körper zu sehr geschunden, so daß er nicht mehr korrekt funktionierte?! War die Lunge zu sehr verschleimt?! Das Gehirn zu geschädigt?! Was genau fehlt denn jetzt, daß er nicht mehr läuft?! Warum kann man nicht einfach ein Teil ersetzen und den Motor wieder starten?!

Als technisch versierter Mensch hat man ja ein gewisses Gespür für materielle Zusammenhänge. Man hat beispielsweise mit einer bestimmten Maschine zu tun und baut tatsächlich auch eine Art Beziehung zu ihr auf. Man „fühlt“ sich hinein, wie die Abläufe in ihrem inneren sind. Das Gespür verfeinert sich, je länger man sich mit ihr beschäftigt. Mit der Zeit versteht man immer besser, wie sie funktioniert. Wie Zahnräder ineinander greifen. Warum es manchmal hakt. Wie man mit ihr umgehen muß und wo ihre Schwachstellen sind. Wann etwas kaputt geht und wie man es reparieren kann. Das alles ist für technikaffine Menschen leicht nachzuvollziehen. So auch für mich.

Und dann sitze ich neben diesem verwesenden Zellhaufen von dem unsere Gesellschaft uns lehrt, es handle sich ebenfalls um eine Maschine. Eine hochkomplexe zweifellos, aber dennoch eine Maschine. Eine, bei der man mit nur ausreichend Forschungszeit verstehen würde, wie sie funktioniert. Eine, bei der auch Zahnräder (Zellen und Proteine) ineinandergreifen. Bei der es auch manchmal hakt (einige Zellen oder Proteine zu viel oder zu wenig). Bei der etwas kaputt gehen kann, und bei der man mit der richtigen Operation oder dem richtigen Medikament alles wieder reparieren kann. Wie bei einem Auto, das man in die Werkstatt bringt, wenn es irgendwo nicht rund läuft. Wenn ein Automotor einen Kolbenfresser kriegt, weiß ein erfahrener Mechaniker recht schnell, welche Teile er austauschen muß, um ihn wieder flott zu kriegen. So soll das auch bei einem Menschen funktionieren. Man geht zum Arzt und sagt: „Herr Doktor, mein Körper streikt.“ Und mit nur genügend Erfahrung tauscht dieser Teile aus (Operation) oder sorgt für mehr Öl (Medikamente), um den Körper wieder auf Vordermann zu bringen.

Dieses Bild von der nicht mehr funktionierenden Maschine stimmt für mich nun nicht mehr. Die Art und Weise wie Viktoria gestorben ist, widerspricht völlig meinem Gespür für technische Abläufe. Sicher, ich bin medizinischer Laie. Aber wenn man schon dieselben wissenschaftlichen Methoden in der Medizin anwendet wie in technischen Berufen, dann sollte doch auch mein Verständnis für materielle Abläufe und Zusammenhänge hier anwendbar sein. Aber das ist es nicht! Es fühlt sich völlig unpassend an! Wenn das wirklich nur eine Maschine war, die hier „den Geist aufgegeben“ hat, so wäre das auf andere Art und Weise passiert. Es wäre irgendwie so passiert, daß man erkennt, welches Teil zu ersetzen ist, welche Schraube man festdrehen muß, um dem entgegenzuwirken. Ich kann das schlecht in Worte fassen, das können selbst Technikprofis in Bezug auf Maschinen auch nicht. Aber es fühlt sich einfach falsch an! Gerade diese Unstimmigkeit macht es für mich unmöglich, dem Gedanken der Körper-Maschine weiter nachzuhängen.

Liebe Leser, laßt euch sagen, der Mensch ist viel mehr als die Summe seiner sichtbaren Teile. 100 Billionen Zellen (das ist eine Zahl mit 14 Nullen) sollen einfach so zusammenarbeiten?! Wunderbare Gefühle, die wir tagtäglich hervorbringen – nur eine Folge unserer Hormonproduktion?! Unsere grenzenlose Fantasie – zufällig entstandene Verbindungen in den Neuronen des Gehirns?!

Es ist seltsam. Noch vor einem Jahr hätte ich hier überall ja gesagt. Man findet stets eine Erklärung, die dem gegenwärtigen Weltbild entspricht und es bestätigt. Von Zeit zu Zeit aber geschehen Dinge im Leben eines Menschen, die seine Welt aus den Angeln heben. Als Viktoria erkrankte, war für mich ein solcher Zeitpunkt. Die verstandesmäßige, logische Erklärung seitens der Schulmedizin war da. Sie paßte in das alte Weltbild. Und doch war für mich keine emotionale Stimmigkeit mehr da. Es hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen – die Weltanschauung trug mich nicht mehr.

Es ist dem „Zufall“ zu verdanken, daß Dinge in mein Leben traten, die einen Erkenntnisprozeß bei mir anstießen. Zunächst getragen von der Hoffnung, Viktoria würde wieder gesund und munter werden, wurden daraus bald Gedanken über den Sinn des Lebens, den Zweck unseres Daseins. Die Richtung, die ich einschlug, versprach auf einmal mehr, als „nur die Heilung meiner Tochter“. Ich habe diesen Satz im Laufe der letzten Monate mehrfach gesagt, und er stimmt für mich bis heute. Hallo?! Lest mal genau hin! Diesen Satz muß man sich auf der Zunge zergehen lassen! Ich wünschte mir doch nichts sehnlicher, als die Genesung meiner kleinen Viktoria. Alles andere in meinem Leben verschwand in völliger Bedeutungslosigkeit. Es war so unendlich schmerzhaft, sie so sterbenskrank daliegen zu sehen. Ich hätte alles gegeben, um sie gesund zu machen. WIRKLICH ALLES! Und dann kommt etwas in mein Leben, das noch wichtiger und einfach nur grandios ist?! Gibt’s ja gar nicht…

Heute erscheint es mir, als wäre ich blind gewesen! Es war alles schon vorher da, nur habe ich es nicht gesehen. Selektive Wahrnehmung. 🙂 Man sieht es – und doch sieht man es nicht. Stur seinen alten Mustern zu folgen, bringt einen nicht weiter. Es geschehen genau dann wunderbare Dinge im Leben, wenn man bereit ist, sich zu öffnen, um etwas Neues zuzulassen. Meistens brauchen wir dazu einen Tritt in den Hintern, um uns von selbigem zu erheben. Nun, ein etwas weniger schmerzhafter Tritt wäre mir sicherlich lieber gewesen. Aber ich denke, ich habe genau das gebraucht. Ein weniger einschneidendes Erlebnis hätte mich vielleicht nicht diesen Weg finden lassen, von dem ich nicht mehr umkehren mag. Ich kann nicht in Worte fassen, wieviel Dank ich für Viktoria empfinde. Ihr verdanke ich, daß die Welt um mich herum nun bunt ist – es kommt mir so vor, als war sie zuvor schwarz-weiß.

Rückblickend wird mir nun auch klar, daß Viktoria von Anfang an nur ein kleines Gastspiel geplant hatte (oder Gott für sie, je nachdem, woran man glaubt). Sie wollte nur kurz Hallo sagen, um dann bald wieder zu enteilen. Doch allzuschnell konnte sie das nicht. Sie fühlte, daß wir es nicht verkraftet hätten, wäre sie gleich bei Ausbruch ihrer Krankheit gegangen. Unsere Liebe für sie war riesig und sie ist es noch. Doch wie viele andere unerfahrene Eltern auch verwechselten wir Liebe mit Umklammerung. Wir hatten zu viele Erwartungen. Zu viele eigennützige Wünsche. Wir hätten so gerne gesehen, wie sie aufwächst – hätten so gerne erlebt, wie sie zur bildhübschen Frau heranreift – hätten so gerne mit ihr gesprochen – hätten so gerne an ihrem Leben teilgenommen. Sie spürte dies – und konnte nicht gehen. Noch nicht. Sie gab uns Zeit, mit dieser Situation zurecht zu kommen. Zeit, sie loszulassen. Denn das, was wir uns für sie und mit ihr vorstellten, entsprach nicht ihren Wünschen.

Selbst, als meine Sichtweise sich zu ändern begann, ließ ich Viktoria nicht wirklich los. Ich machte mir etwas vor. Ich schob die Möglichkeit ihres Todes immer so weit wie möglich von mir weg. Positives Denken! Der Gedanke ist Urheber der Tat! Das stimmt. Doch letztlich liegt es nicht in unserer Macht, für andere zu entscheiden. Indem ich es ignorierte, daß Viktoria sterben könnte, nahm ich ihr die Möglichkeit auf Selbstverwirklichung. Ich blockierte ihren Weg, setzte mich über ihren Wunsch hinweg, ja ich zwang ihr meinen Willen auf.

Durch die schwere Zeit war es Ute und mir möglich, gaaanz langsam den Gedanken von Viktorias Tod zuzulassen. Stück für Stück näherten wir uns seinem vermeintlich häßlichen Angesicht – jeder auf seine eigene Art und Weise. Ich für meinen Teil kann sagen, daß der Tod seinen Schrecken ganz und gar verloren hat. Er ist nur häßlich und schrecklich, solange wir uns von ihm abwenden. Haben wir den Mut ihn anzuschauen, bemerken wir, daß er ganz und gar nicht böse ist. Und er gehört einfach zu unserem Leben hier auf dieser Welt dazu.

Viktoria wartete geduldig, bis wir in der Lage waren, ihren Verlust zu verschmerzen. Sie erspürte den perfekten Zeitpunkt und beschloß dann, daß es Zeit war, zu gehen. Daher ist ihr Verlust zwar traurig und schmerzlich, nicht aber schrecklich oder traumatisch. Auch die Art und Weise, wie sie gegangen ist, paßt ins Bild. Es war kein Krankheitsschub, kein Krampfanfall, kein Todeskampf. Sie hörte einfach auf zu atmen. Sie ließ los. Es war keine Resignation, kein ich-mag-nicht-mehr. Es war ein endlich-kann-ich. Sie wollte einfach gehen. Das war ihr Ziel – und das konnte sie erst erreichen, nachdem wir sie loslassen konnten.

Viktoria hat ein großes Loch in das Dasein ihrer Eltern gerissen. Es läßt sich nicht mit Worten ausdrücken, wie sehr wir sie vermissen – wie sehr wir uns danach sehnen, sie im Arm zu halten, sie zu füttern, für sie da zu sein. Man bemitleidet sich selbst, alles ist schwer und müßig. Man sucht morgens oft nach einem Grund, aufzustehen. Die Leere, die im Leben entstanden ist, versucht man mit anderen Dingen aufzufüllen. Doch was man auch tut, alles erscheint so unbedeutend und nebensächlich. Man ist quasi auf der Suche nach einem Alltag, den man nicht mehr haben wollte. Ein kinderloser Alltag. Wie texteten die Fantastischen Vier noch so passend: „Davor war’s schöner allein zu sein.“ Wie wahr.

Aber trotz all dieser Melancholie: Da ist auch Zuversicht. Wir haben gerade erst an die Pforte des Lebens geklopft. Wir stehen mittendrin und haben noch alle Möglichkeiten, unser Glück zu finden. Durch die Hölle sind wir bereits gegangen. Jetzt wäre es doch an der Zeit für etwas Glück?! Wir wünschten uns natürlich, wir hätten Viktoria in dieses Glück mitgenommen. Aber egal was noch kommt, sie wird dennoch immer Teil unseres Glücks sein. Ein großer Teil. Wir werden die Erinnerung an sie lebendig halten. Oft lachen wir gemeinsam beim Betrachten alter Bilder und Videos unseres kleinen Engels. Sie war für uns der goldigste Schatz auf Erden – und sie wird es immer sein.

Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen Menschen bedanken, die durch Viktoria in mein Leben getreten sind und es enorm bereichert haben. Ich konnte viele tolle Gespräche führen, viele neue Gedanken und Sichtweisen entwickeln. Herzlichen Dank an alle, die sich Zeit für mich nahmen. Danke auch an meine Frau Ute. Viktorias Mama hat ihrer Tochter die Liebe geschenkt, die sie für ihr kurzes und intensives Leben brauchte. Und sie hat eine ganz eigene Sicht auf die Dinge. Gut so! Denn ihre Sichtweise ist genauso richtig wie die meine. Das Zulassen ihrer Betrachtungsweise, sowohl gedanklich als auch emotional, war und ist ganz wichtig für meinen Prozeß. Ablehnung führt nicht zum Ziel. Das habe ich nun verstanden.

Danken möchte ich auch den Menschen, die Viktoria ein Stück ihres Lebens begleitet haben, ihr durch die schwere Zeit halfen und ihr beistanden, darunter allen Therapeuten, Ärzten und Krankenschwestern. Ein besonderer Dank geht an meine Familie, die immer für uns da war. Insbesondere Viktorias Omas haben uns während der schwierigen Zeit immer zur Seite gestanden, und auch unser Schwager kam oftmals zum Babysitten. Danke auch an meinen Cousin, der mich während der Akutphase oft bei sich hat nächtigen lassen.

Danke an alle, die unsere Geschichte verfolgt haben und uns aufmunternde Worte und Gedanken schickten und noch immer schicken. Auch ihr habt ganz wesentlich zum Verlauf der Dinge beigetragen, und ihr helft uns weiterhin, dieses Erlebnis verkraften zu können. Ich werde immer mal wieder etwas hier im Blog veröffentlichen, was mit Viktoria zusammenhängt. Ihre Geschichte ist noch nicht zu Ende.

Mein letzter Dank geht natürlich an meine Tochter Viktoria selbst. Diese Wahnsinns-Seele hat einen anderen Menschen aus mir gemacht – einen besseren, wie ich finde. Sie öffnete mir die Augen für eine völlig neue Welt. Eine Welt, die ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht ersonnen hätte. Ich habe mehr Lebensmut denn je! Das Leben ist großartig! Ich habe richtig Lust darauf! Viktoria, wir werden uns wiedersehen! Das fühle ich genau! Aber jetzt noch nicht! Ich werde dich niemals vergessen, du hast einen festen Platz in meinem Herzen! Danke fürs vorbeischauen!

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Vicky goes PZ

Vor zwei Tagen war ein Artikel über den Kinderhospizdienst Sterneninsel in der Pforzheimer Zeitung. Die Autorin Frau Simon war so nett, in diesem Artikel Viktorias Geschichte aufzugreifen und auf unser Blog zu verweisen. Vielen Dank dafür!

Den PZ-Artikel gibt’s hier als PDF zum lesen. Eine abgespeckte Online-Version ohne den Hinweis auf den Blog findet man hier.

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Montag, 9.7.2012

Heute ist ein ganz besonderer Tag. Viktoria wäre heute zwei Jahre alt geworden.

Ich erinnere mich noch gut daran, wie wir vergangenen Sommer die Prognose der Ärzte verkraften mußten, die allesamt prophezeiten, daß Viktoria nicht mehr genesen würde. Uns wurde davon abgeraten, mit ihr die nach schulmedizinischer Lehre heilende Knochenmarktransplantation (KMT) durchzuführen. Aufgebracht und mit der damaligen Überzeugung, daß dies ihre einzige Chance sei, stellte ich in den Raum, daß Viktoria ohne KMT ihren zweiten Geburtstag nicht erleben würde.

Ich sollte recht behalten.

Und doch war es am Ende nicht ihre Krankheit, die ihren Tod verursachte. Es ist augenscheinlich, daß die Strapazen einer KMT ihr nichts gebracht hätten, hätten wir darauf bestanden, diese durchzuführen. Es hätte für Viktoria nur noch mehr Leid bedeutet – und vielleicht ein noch kürzeres Leben. Sicherlich ist das nur eine Mutmaßung, doch ich bin mir sicher, daß wir – rückblickend – die richtige Entscheidung trafen. Wir folgten unserem Herzen und das war gut so. Gut für uns und gut für Viktoria.

Alles Liebe zum Geburtstag, kleine Maus! Ich kann dich zwar nicht mehr umarmen, doch es vergeht kein Tag, an dem ich das nicht in Gedanken tue. Du bist auf ewig in meinem Herzen. Ich liebe dich!

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Donnerstag, 28.6.2012

Der Tag der Trauerfeier ist da. Ein wunderschöner, heißer Sommertag. Wir hatten die letzten Tage unwahrscheinliches Glück mit dem Wetter. Es war recht kühl für diese Jahreszeit, so daß Viktoria lange bei uns bleiben konnte.

Wir ziehen Viktoria unseren Lieblings-Schlafanzug an, ein goldiger lilafarbener Zweiteiler mit schrunzeligen Bündchen. Papa nimmt seine Tochter ein letztes mal auf den Arm, um sie in ihren Sarg zu betten. Er ist wunderschön geworden. Bunt bemalt, fröhlich und zu Tränen rührend. Morgens informieren wir den Bestatter, daß er Viktoria holen kann. Es ist nicht schlimm, als er eintrifft. Wir hatten viel Zeit, um uns von ihr zu verabschieden. Wir sind eigentlich eher ein wenig froh, daß er kommt – sie stinkt! 🙂 Freud‘ und Leid liegen oft sehr nah beieinander. Aber es war wunderschön, sie bis heute bei uns zu haben, um sie heute auf ihrem letzten Weg zu begleiten. Wäre sie gestern schon geholt worden, es wäre seltsam gewesen. Keine runde Sache. Wir bereuen es nicht.

Auf dem Friedhof angekommen beginnen die Vorbereitungen. Papas Familie kommt und befüllt farbige Luftballons mit Helium. Unser Bestatter hat eine unglaublich schöne Dekoration aufgebaut. Ein riesiges Poster unseres Lieblingsbildes von Viktoria steht neben einem Meer von farbigen Tüchern, die um ihren Sarg ausgelegt sind. Auf der anderen Seite steht ein unvollendetes Puzzle unserer Tochter, das wir extra dafür vorbereitet hatten – passend zur wundervollen Geschichte unserer Rednerin, daß wir alle Teil eines vollkommenen Puzzles sind, das wir nicht zu überblicken vermögen.

Die Anteilnahme ist überwältigend. Es sind viel mehr Menschen da, als wir erwartet haben. Es ist so schön! Wir hatten zwei Wünsche: Viele anwesende Kinder und viel farbige, festliche Kleidung. Und die werden mehr als erfüllt. Es sieht aus wie auf einem Kindergeburtstag – und in gewisser Weise ist es das ja auch. Nur ist es eine Geburt in ein anderes Leben.

Die Trauerrede ist sehr bewegend. Während einer musikalisch untermalten Pause dürfen alle Familien einen Luftballon mit einer Karte an Viktorias Sarg befestigen. Auf den Karten sind Kinderfotos, gemalte Bilder und Glückwünsche zu sehen. Der Strom an Menschen, die einen Ballon befestigen möchten, reißt überhaupt nicht ab. Oh mein Gott, es sind so viele! Viel mehr, als wir erwarteten. Alle wollen an diesem Moment teilhaben. Es ist einer der bewegendste Augenblicke der Feier. Diese unermeßliche Anteilnahme rührt uns wirklich zutiefst.

Dann ist es soweit. Viktorias letzter Gang. Auf unserem Kinderwagen ruhend wird ihr Sarg über den Friedhof geschoben, rechts und links laufen Kinder und helfen mit, ihren Sarg zu schieben. Keine Spur von Scheu. Die Ballons wehen im Wind hin und her. Es sind so viele – man hat den Eindruck, der Sarg müßte jeden Moment abheben. Auch diesen Moment werden wir nie vergessen. Genau so haben wir uns das vorgestellt. Das hätte Viktoria mit Sicherheit gefallen.

Am Grab angekommen, trägt Eckes Cousine ein wunderbares Gedicht vor, das passender nicht sein könnte:

Still! Seid leise!
Es war ein Engel auf der Reise.

Sie wollte ganz kurz bei euch sein,
warum sie ging, weiß Gott allein.

Sie kam von Gott, dort ist sie wieder.
Wollt‘ nur kurz auf uns’re Erde nieder.

Ein Hauch nur bleibt von ihr zurück,
in eurem Herz ein großes Stück.

Sie wird für immer bei euch sein,
vergeßt sie nicht, sie war so klein.

Geht nun ein Wind an mildem Tag,
so denkt: Es war ihr Flügelschlag.

Und wenn ihr fragt: Wo mag sie sein?
So wißt: Engel sind niemals allein.

Sie kann jetzt alle Farben seh’n,
und barfuß durch die Wolken geh’n.

Bestimmt läßt sie sich hin und wieder
bei and’ren Engelkindern nieder.

Und wenn ihr sie auch sehr vermißt
und weint, weil sie nicht bei Euch ist,

so denkt: Im Himmel, wo es sie nun gibt
erzählt sie stolz: Ich werde geliebt!

Die Worte dringend tief in unsere Herzen ein und spenden unwahrscheinlich viel Trost. Nun schneiden Mama und Papa die Schnüre durch und entlassen die Ballons in den Himmel – die Karten mit den Glückwünschen und Fotos verbleiben bei Viktoria. In diesem Bild steckt soviel Symbolik, soviel Kraft – wunderbar.

Die Feier endet mit dem Ablassen des Sargs. Dieses von anderen Beerdigungen bekannte Zeremoniell hat längst nicht mehr diesen niederschlagenden Effekt auf uns. Anschließend kommt es zur persönlichen Verabschiedung der Anwesenden, auch aller Kinder. Es ist schön mit anzusehen, wie diese ein noch unverkrampftes Verhältnis zum Tod haben und nach dem Wurf einer Blume wieder zum Spielen auf der Wiese übergehen. Wir können viel von ihnen lernen.

Wir möchten uns an dieser Stelle bei allen Beteiligten und Anwesenden bedanken. Ein ganz besonderes Dankeschön geht an alle anwesenden Kinder und deren Eltern, die ihren Sprösslingen diese Erfahrung zuteil werden ließen. Ihr alle habt dafür gesorgt, daß diese Feier zu einem großen Fest wurde. Ein Fest, wie es für die Verabschiedung einer so großartigen Seele würdig war. Ein trauriges Fest, aber ein feierliches, das im Gedächtnis bleiben wird. Viktoria wird euch auf ihre Weise dafür danken. Ihr werdet sehen. 🙂

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Mittwoch, 27.6.2012

Ein weiterer Morgen mit unserer toten Tochter. Die morgige Trauerfeier ist beinahe vollständig organisiert. Wir haben nun etwas mehr Zeit, um nachzudenken – die letzten Tage hatten wir kaum Zeit zum Essen. Beim Gang durch die Wohnung fällt der Blick immer wieder auf etwas, daß an eine frühere Situation mit Viktoria erinnert. Die Kuscheldecke in der Wäsche, der Zahnputzbecher im Bad, die Babylöffel in der Küche. Man ertappt sich dabei, wie man den Mixer aus der Spülmaschine nimmt und umarmt. Er wurde extra für Viktoria angeschafft. Auch die Schälchen, in denen man ihren Brei erwärmte, rühren zu Tränen. Wo man auch hinblickt werden Erinnerungen mit unserem kleinen Engel wach, schöne Erinnerungen. Wunderschöne Erinnerungen.

Eine letzte große Hürde liegt noch vor uns. Viktorias Sarg ist gekommen und soll geschmückt werden. Die Idee, mit Fingerfarben unsere Handabdrücke aufzudrucken, wird schnell wieder verworfen. Es sieht einfach nicht gut aus. Aber was dann? Was würde ein Kind nun tun?! Fingerfarben – eine leere Fläche – Papa malt einfach drauflos und Sabine macht mit. Blümchen, Schmetterlinge, Raupen, eine Sonne – kindlich und passend. Mama schreibt später noch mit einem feinen Pinsel den Abendsegen aus der Oper „Hänsel und Gretel“ darauf, den sie Viktoria oft vorgesungen hat:

Abends, will ich schlafen geh’n,
Vierzehn Engel um mich steh’n:
Zwei zu meinen Häupten,
Zwei zu meinen Füßen,
Zwei zu meiner Rechten,
Zwei zu meiner Linken,
Zweie, die mich decken,
Zweie, die mich wecken,
Zweie, die mich weisen,
Zu Himmels-Paradeisen.

Der Text ist so passend. So gut. So ergreifend. Als er fertig aufgemalt ist, fällt uns auf, daß das Wort „Füßen“ tatsächlich am Fußende steht und die „Himmels-Paradeisen“ am Kopfende. Was für ein Zufall…

Es ist schon spät abends. Es ist irgendwie bizarr, fast surreal. Der leblose Körper unserer Tochter liegt noch immer mitten in unserem Wohnzimmer. Viktoria ruht auf ihrem Sitzsack, so wie sie es die letzten Monate auch oft zum Schlafen getan hat. Ihre weichen, seidigen blonden Haare wehen im Wind am offenen Fenster. Ihr Kopf ist leicht nach rechts geneigt, die Augen mit ihren endlos langen Wimpern sind geschlossen, ihr Mund steht leicht offen. Sie sieht genauso aus wie früher. So als würde sie schlafen. Und doch ist es anders. Ihre Haut ist ganz fahl, mittlerweile sind überall am Körper kleine Verfärbungen zu sehen. Die Fingerkuppen der linken Hand sind ganz blau, ihre Lippen beinahe schwarz von dem Pflaster der letzten Intubation. Man streicht über ihre Stirn und hält ihre Hand – ihre Haut ist ganz kalt. Die Gliedmaßen sind voll beweglich – ihre Spastik ist weg. Ihre Bäckchen sind nicht mehr so weich wie sonst, die Haut fühlt sich ledrig an. Mittlerweile liegt ein Hauch von Verwesungsgeruch in der Luft, doch in der frischen Brise der offenen Fenster und Türen nimmt man fast nichts davon wahr.

Ein Marienkäfer hat sich vom Licht anlocken lassen und kreist im Wohnzimmer um den Deckenfluter. Wenig später ist es um ihn geschehen und eine Rauchfahne steigt über der Lampe auf. Der Käfer ist Viktoria hinterhergeeilt. Wo sie beide wohl hingehen?!

In dieser Zeit kommen viele Gedanken. Haben wir alles richtig gemacht? Hätten wir das verhindern können? An welchem Punkt der Geschichte haben die Dinge begonnen, schief zu laufen?

Wir gewinnen mehr und mehr die Einsicht, daß die Dinge genau so haben kommen müssen, wie sie gekommen sind. Wir Menschen glauben immer, die Dinge kontrollieren zu können. Doch es setzt sich die Erkenntnis durch, daß wir überhaupt nichts unter Kontrolle haben. Dinge geschehen einfach – das einzige, was wir zu tun haben, ist, mit ihnen fertig zu werden.

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Dienstag, 26.6.2012

Die erste Nacht mit Viktorias totem Körper liegt hinter uns. Die erste sehr ruhige Nacht seit zwei Jahren – und doch sind wir sehr früh wach und können nicht mehr einschlafen. Zu viele Gedanken kreisen in unseren Köpfen.

Heute kommen die Therapeuten und unsere Kinderärztin Dr. M., auch ein Familienteil hat sich nochmals angekündigt. Die große Anteilnahme rührt uns zutiefst. Alle Besucher sind voll des Dankes für die Möglichkeit, von Viktoria Abschied nehmen zu können. Wir merken immer mehr, wie sehr uns diese Übergangsphase bei der Bewältigung dieses Ereignisses hilft. Es ist dadurch kein einziger riesiger Schritt, es sind mehrere kleine.

Wir können zusehen, wie Viktoria sich langsam verändert. Ihre Augenlider bekommen Falten, die Schwellungen sind zurückgegangen. Aber auch wir verändern uns. Das Bedürfnis, Viktoria zu berühren, wird kleiner. Von Zeit zu Zeit kehrt es zwar wieder mit voller Wucht zurück, jedoch ist es nicht mehr dasselbe. Es entsteht ein anderes Gefühl, wenn man sie streichelt – schwer zu beschreiben.

Der Medikamentenschrank wird ausgeräumt. Den Inhalt werden wir bestimmt nicht vermissen.

Abends informieren wir unsere Freunde. Wir telefonieren beide – oftmals gleichzeitig – bis spät in die Nacht.

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Sonntag, 24.6.2012

Die ganze Nacht über hat Viktoria lautstark geatmet. Wir haben bei dem Krach kaum schlafen können. Auch morgens ist der Stridor nicht völlig weg, aber sie klingt nicht mehr ganz so angestrengt. Viktoria ist sehr, sehr schlapp, schmatzt zwar etwas, aber zum Essen reicht es nicht. Wie die letzten Tage auch schon müssen wir sondieren. Tagsüber schläft sie viel. Auch wenn sie mal nicht schläft, sind ihre Augen eigentlich durchgängig geschlossen. Nur für einige wenige Momente öffnet sie sie einen Spalt weit, vor allem bei Lichtwechseln von hell nach dunkel. Wir haben Besuch, nehmen Viktoria mit zum Spaziergang. Die Atmung ist die ganze Zeit zu hören. Laut und beständig. Sie muß oft husten. Es geht nicht so gut und erschöpft sie sichtlich.

Abends verlassen unsere Freunde die Wohnung. Sie sind noch keine fünf Minuten aus der Tür, als man auf einmal Viktorias Atmung nicht mehr hört. Sie atmet schon noch, aber ganz langsam und recht tief. Ihr Brustkorb hebt und senkt sich fast unmerklich. Hält man den Finger an ihre Nase merkt man aber deutlich den Luftzug. Was das jetzt wohl wieder soll?! Aber gut, sie ist schwer krank und sie darf so atmen, wie sie möchte. Mulmig ist uns aber dennoch zumute. Es passiert irgendwas mit ihr.

Da wir es die letzten Tage vor uns hergeschoben haben, bringen wir Viktoria ins Bad, um sie zu waschen. Geduldig läßt sie uns gewähren, ab und an hören wir einen wohlig grunzender Seufzer. Sie atmet also noch, obwohl man sonst nichts hören kann. Nachdem auch ihre Haare gewaschen sind, setzt sich Papa mit ihr auf dem Schoß auf die Couch im Wohnzimmer und beobachtet sie. Sie ist schlapp wie ein Sack Kartoffeln, die Augen sind geschlossen, der Mund steht offen. Da fällt dem Papa auf, daß Viktoria etwas bläuliche Lippen hat. Schon bevor wir mit ihr ins Bad sind, war der Gedanke da. Aber nun manifestiert sich die Gewissheit, daß sie definitiv zu wenig atmet!

Ute kommt dazu. Wir müssen uns entscheiden. Notarzt – ja oder nein! Nach kurzer Überlegung greift Ecke spontan zum Hörer. Noch während er mit der Leitstelle telefoniert und die Frage gestellt bekommt, ob sie denn noch atmen würde, muß er stutzen – denn da ist kein Luftzug mehr! Nach dem Auflegen übernehmen spontane Reaktionen die Handlungsweise. Spontan – aber doch ruhig. Es bricht keinerlei Panik bei uns aus. Ecke preßt seine Lippen auf Viktorias Mund und pustet. Es kommt durch die Nase wieder heraus. Richtig, da war ja was. Also Nase zuhalten und weiter. Es geht schwer. Viktorias Atemwege sind total verschleimt. Aber es geht. Ihr Brustkorb hebt und senkt sich. Nach einigen Zügen stellt Papa fest, daß die Halsschlagader nicht mehr zu sehen ist. Im Bad auf dem Boden liegend konnte man sie noch deutlich pulsieren sehen. Er versucht einen Puls zu finden. Am Hals. Auf der Brust. An der Hand. Er findet nichts. Aber er ist auch kein Profi, das muß ja noch nichts bedeuten.

Dennoch muß gehandelt werden. Der Notarzt ist informiert und man hat gelernt, bis zu dessen Eintreffen erste Hilfe zu leisten. Also legt Papa seine Tochter auf den Boden und beginnt die Reanimation. Abwechselnd beatmen und Herzdruckmassage. Er und auch Ute bleiben dabei ganz ruhig. Es passiert einfach. Nach einiger Zeit merkt Papa, daß es nichts bringt. Kein Puls, keine Atmung, keinerlei Reaktion. Der Gedanke, sie wird wahrscheinlich heute sterben, wird zum ersten mal ganz klar. Trauer überkommt ihn. Und doch schiebt er den Gedanken zur Seite. „Och nee, Kleine, komm! Jetzt noch nicht!“ kommt es über seine Lippen. Er macht weiter. Irgendwann – wir haben nicht auf die Uhr gesehen – trifft der Rettungsdienst ein. Wenig später kommt der Notarzt dazu. Wir setzen uns daneben und sehen zu. Immer noch ruhig – aber immer trauriger. Sie schaffen es, Viktoria mit Katecholaminen zu reanimieren. Ihr Herz schlägt wieder, Puls 170. Aber immer noch keine Atmung. Der Notarzt muß intubieren. In diesem Moment bereuen wir, daß wir ihn gerufen haben. Viktoria wird ins Krankenhaus nach Pforzheim transportiert – dort kennt man uns. Mama fährt im Krankenwagen mit, Papa mit dem Auto hinterher.

Während der halbstündigen Fahrt haben wir viel Zeit, das ganze auf uns wirken zu lassen – jeder für sich. Es wird immer mehr zur traurigen Gewissheit, daß dies keinen Wendepunkt in Viktorias Geschichte darstellt – sondern einen Endpunkt. Und doch glimmt noch immer etwas Hoffnung auf. Verrückt.

Wir treffen fast zeitgleich in der Klinik ein. Dort müssen wir im Wartezimmer der Intensivstation Platz nehmen, bis Viktoria umgelagert und angeschlossen ist. Mittlerweile hat sich viel Trauer in unseren Herzen ausgebreitet, doch es ist keine Verzweiflung dabei. Wir reden darüber, daß es nun doch vorbei zu sein scheint. Daß es für Viktoria sicher das Beste sein wird. Daß es für uns ja nicht völlig überraschend kommt. Daß wir es verkraften werden.

Eine Ärztin kommt mit ernster Mine zu uns ins Zimmer und sagt: „Es sieht nicht gut aus. Ihre Tochter war sehr lange ohne Sauerstoff, die Pupillen sind lichtstarr. Es tut mir Leid.“ Es ist eine traurige Nachricht, doch keine schockierende. Man hofft ja doch bis zum letzten Moment, aber es sieht nun doch nicht nach einer Wendung aus und wir hatten lange Zeit, uns auf diesen Moment einzustimmen.

Wir dürfen zu ihr.

Sie ist noch immer über den Mund beatmet und hängt über ihren Hickman-Katheter an einer Infusion. Auf dem Monitor sehen wir einen Puls von 170 bei einer Sauerstoffsättigung von 60%. Viel zu wenig. Kurze Zeit später kommt der diensthabende Oberarzt Dr. E. zu uns. Er war auch letztes Jahr bei Ausbruch der Krankheit bei uns und kennt Viktoria noch. Er macht uns klar, daß Viktoria einen sehr lange andauernden Sauerstoffmangel erlitten hat. Die einzige noch funktionierende Körperfunktion sei der Herzschlag. Ansonsten zeige Viktoria keinerlei Reaktion mehr auf irgendetwas. Selbst wenn sich die Sauerstoffaufnahme noch einmal bessern sollte, ist aufgrund der unvermeidlichen weiteren Hirnschädigung nicht zu erwarten, daß sie sich nochmal erholen wird. Aber uns war das schon klar, bevor er es aussprach.

Wir werden gefragt, ob wir weitere lebensverlängernde Maßnahmen möchten. Wir sind uns sofort einig. Nein, Viktoria darf gehen. Es würde das Unvermeidliche nur hinauszögern. Viktoria würde das nicht wollen. Die Beatmung kann man aus rechtlichen Gründen nicht einstellen und Dr. E. müßte mich daran hindern, aktive Sterbehilfe zu leisten. Wir müssen also warten, bis Viktoria den Abgang alleine hinbekommt. Das kann angesichts der Katecholamine, die sie zur Reanimation bekommen hat, eine ganze Weile dauern. Wenigstens kann die Atmung von reinem Sauerstoff auf Raumluft umgestellt werden. Viktoria bekommt auch vorsorglich eine Dosis Morphin, wobei wir und auch Dr. E. nicht davon ausgehen, daß Viktoria Schmerzen hat.

Die Schwestern bringen uns zwei Liegestühle. Wir dürfen Viktoria auf den Schoß nehmen, erst Papa, dann wird er anschließend von Mama abgelöst. Von Zeit zu Zeit hebt sich Viktorias Brustkorb, sie macht den Anschein, als wolle sie husten – soweit das mit dem Schlauch in der Lunge eben möglich ist. Es ist seltsam zu spüren, wie sie sich tatsächlich noch bewegt, obwohl sie eigentlich schon nicht mehr da ist. Der Hustenreflex sitzt tief im Stammhirn, so tief wie der Puls.

Endlich können wir die Magensonde entfernen, die so lange ihr Gesicht entstellt hat. Es ist schön, unsere kleine Tochter noch einmal aus nächster Nähe spüren zu dürfen, ihre weiche Haut zu streicheln, ihr durchs seidige Haar zu fahren. Es war so wunderschön mit ihr. Selbst als sie so sterbenskrank war. Und es ist es noch. Wir versuchen für den Moment alles um uns herum zu vergessen. All die Qualen des letzten Jahres, all die Hoffnungen, all die Angst. In diesem ewigen Moment sind wir glücklich, daß wir unsere Tochter in den Armen halten dürfen. Das ist alles was zählt.

Draußen hören wir Autos hupen – Italien hat gegen England gewonnen. Es ist uns egal. Wir sind mit den Gedanken bei unserer geliebten Tochter. Stunde um Stunde verrinnt. Man kann zusehen, wie ganz langsam ihr Puls heruntergeht, die Ausschläge kleiner werden und die Sättigung sinkt. Ganz langsam. Schritt für Schritt. Nach ein paar Stunden zeigt der Monitor nur noch einzelne Ausschläge, das Pulsoxymeter ist ganz flach. Es ist 2.00 Uhr. Die Ärztin kommt herein und hört Viktorias Herz ab. Es schlägt nicht mehr. Es hat aufgehört. Es ist vorbei.

Viktoria wird extubiert, ihre Infusion abgestöpselt. Wir dürfen sie bei uns behalten und mit ihr kuscheln. Wir bekommen eine Elternliege. Zu dritt liegen wir auf dieser engen Matratze, Papa legt Viktoria auf seinen Bauch. Sie ist noch ganz warm und weich. Es ist unsagbar traurig, aber gleichzeitig auch unsagbar schön. Tränen laufen uns übers Gesicht. Es wird zwischen uns beiden ausgesprochen, was lange Zeit nicht ausgesprochen wurde. Wie die Zukunft aussieht und ob wir es verkraften werden. Das werden wir. Nach einigen Stunden wird es zu unbequem, wir betten Viktoria auf den Wickeltisch und versuchen noch etwas Schlaf zu finden. Währenddessen kommt die Ärztin noch einige male herein, um Viktoria zu untersuchen.

Morgens informieren wir unsere Betreuerin Angelika vom Kinderhospiz-Dienst Sterneninsel, die uns schon eine Weile begleitet. Sie kommt sofort zu uns. Nun gilt es, die Frage zu beantworten, was mit Viktorias Körper geschieht. Es besteht die Möglichkeit, sie mit zu uns nach Hause zu nehmen. Aber wollen wir das wirklich? Wie ist das wohl mit einem toten Kind in der Wohnung? Wird man sich vor ihr ekeln? Kann man sich so besser von ihr verabschieden? Wir wissen es nicht. Und dennoch entscheiden wir uns nicht zuletzt auch aufgrund von Angelikas Rat dafür.

Da es in Deutschland eine Ordnungswidrigkeit darstellt, als Privatperson eine Leiche zu transportieren, dürfen wir sie nicht einfach in unserem Auto mit nach Hause nehmen. In dem Moment, wo ein Mensch verstirbt, gehört sein Körper rechtlich dem Staat. Wir als Eltern verlieren also völlig die Handlungsvollmacht über unser verstorbenes Kind. Eine grausame Gesetzeslücke in unseren Augen. Nachdem uns seitens der Klinikleitung klargemacht wird, daß aus Angst vor den Folgen ein Gesetzesverstoß nicht geduldet werden könne, muß also eine andere Lösung her. Es ist schlimm, daß man als Eltern in so einer Situation noch mit so etwas konfrontiert wird. Aber Angelika setzt alle Hebel in Bewegung und findet eine Lösung, die auch von der Klinik akzeptiert wird.

Kurze Zeit darauf wird Viktoria von einem unwahrscheinlich netten Bestatter abgeholt und zu uns nach Hause gebracht. Es gibt einfach richtige Gutmenschen auf dieser Welt. Und er gehört dazu.

Zuhause angekommen betten wir Viktoria auf ihren roten Sitzsack mitten im Wohnzimmer, dort wo sie oft geschlafen hat. Wir besprechen noch einige Details mit dem Bestatter – wir dürfen jederzeit anrufen, damit er sie holen kommt. Dann sind wir mit Viktoria allein.

Es ist seltsam. Ungewohnt. Gruselig ist es nicht. Wir haben keine Scheu. Keine Berührungsängste. Obwohl aus der Nase etwas braunes Blut läuft – das ist schnell weggewischt. Es ist immer noch schön, sie zu streicheln, ihr durchs Haar zu fahren. Und so traurig. So unsagbar traurig. Wir geben ihr ihren weißen Teddybär in den Arm, den sie früher oft angelacht hatte und setzen einige andere Stofftiere um sie herum. Es sieht so friedlich und anrührend aus.

Angelika und später auch Sabine kommen zu uns und leisten uns Gesellschaft. Es gilt nun die Trauerfeier für Viktoria zu organisieren. Viel zu tun. Die beiden Betreuerinnen nehmen uns so viel Arbeit wie möglich ab, ziehen Viktoria ein paar ihrer eigenen Sachen an und organisieren auch eine Trauerrednerin. Wir informieren zunächst die engere Familie, die über den Abend verteilt zu uns kommt, um gemeinsam mit uns von Viktoria Abschied zu nehmen. Selbst der einzige ihr verbliebene Großvater schleppt sich mit seinen 82 Jahren auf Krücken die Treppen hoch, um diesen Moment zu erleben. Der bereitgestellte Rollstuhl und die organisierten Helfer interessieren ihn nicht. Jetzt wissen wir, woher Viktoria ihren Dickkopf hatte. 🙂

Es entsteht Trubel in unserer Wohnung. Menschen kommen und gehen. Die anfängliche Scheu aller Besucher verfliegt nach kurzer Zeit. Es entstehen viele Gespräche. Man erzählt, wie man Viktoria erlebt hat. Was man denkt, wo sie nun ist. Es wird um sie geweint. Es wird für sie gelacht. Und schon jetzt wird klar: Viktoria mit zu uns nach Hause zu nehmen war die allerbeste Entscheidung, die wir treffen konnten. Durch den völlig offenen Umgang mit ihrem toten Körper verliert der Tod ein großes Stück von seinem Schrecken. Und man kann in persönlicher Weise in heimeliger Umgebung von ihr Abschied nehmen. So lange, wie man möchte. In einer Aussegnungshalle wäre so etwas undenkbar. Und wenn ich mir vorstelle, Viktoria wäre nun nicht in unserem Wohnzimmer – es wäre schrecklich! Es würde einfach etwas wesentliches fehlen. Sie mochte den Trubel. Immer im Geschehen, aber doch mit Freiraum. Genau das hat sie hier noch ein letztes mal. Und dafür sind wir unendlich dankbar.

Abends, als dann alle gegangen sind, kehrt Stille in unsere Wohnung ein. Wir sitzen Arm in Arm vor Viktorias Sitzsack. Die für sie entzündete Kerze flackert im Zug der leichten Abendbrise. Melancholie überkommt uns, aber keine Verzweiflung. Uns kommt in den Sinn, was wir noch alles mit ihr vorhatten, was unsere Träume mit ihr und für sie waren. Unsere Hoffnungen und Wünsche. Irgendwann fallen uns die Augen zu, wir hatten die Nacht davor fast nicht geschlafen.

Im Nachhinein war es doch gut den Notarzt zu verständigen. Die Intubation war zwar nicht schön, und auch auf die Scherereien mit dem Transport nach Hause hätten wir gerne verzichtet. Letztlich hätten wir uns aber vielleicht doch Vorwürfe gemacht, wenn wir nichts getan hätten. Es ist also schon richtig gelaufen. Auch wenn der offizielle Todeszeitpunkt erst in der Nacht in der Klinik war – für uns ist sie daheim auf der Couch in Papas Armen gestorben. Einen schöneren Tod können wir uns nicht vorstellen.

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Samstag, 23.6.2012

Die Nacht war noch mieser. Viktoria hat fast gar nicht geschlafen. Ihre Atmung ist immer noch schlecht, sie muß oft husten und das fällt ihr sichtlich schwer. Es ist aber nicht mehr ganz so schlimm wie noch am Donnerstag.

Wir werden auf Wunsch mit Zustimmung der Ärzte entlassen. Viktoria leide nicht unter Atemnot, die Sauerstoffsättigung sei durchgehend prima gewesen, die Atemgeräusche könne man tolerieren. Sie habe einen inspiratorischen Stridor – zu deutsch ein Röcheln beim Einatmen.

Wir fahren also wieder heim. Viktoria ist den ganzen Tag weiterhin sehr unruhig wie die Tage zuvor, bewegt sich ständig ganz leicht und kann nicht entspannen. Ihr Magen ist noch immer total nervös. Kaum gibt man einen Schluck Tee hinein, kommt wieder etwas hoch. Man kann sie nicht ablegen, sonst läuft sie quasi aus. Erst nachdem sie eingeschlafen ist, kann man sie in ihr Bettchen legen.

Bis spät in die Nacht hat sie diesen Stridor, der wirklich verdammt laut ist!

Sie ist total hypoton. Wir reduzieren das Baclofen von 7,5mg auf 5mg.

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Freitag, 22.6.2012

Die Nacht war nicht besonders gut. Viktorias Röcheln ist nach wie vor stark, ihre Sauerstoffsättigung ist aber durchgängig sehr gut. Die Inhalationen scheinen keinerlei Effekt zu haben. Sie bekommt aufgrund der immer noch schlechten Blutsalze zusätzlich Elektrolyte durch die Sonde.

Viktoria wirkt sehr unruhig, bewegt sich ständig ganz leicht.

Obwohl wir durch den Aufenthalt Viktoria nicht wirklich helfen konnten, werden wir sicherheitshalber noch eine Nacht bleiben.

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Donnerstag, 21.6.2012

Viktoria wirkt heute furchtbar platt. Sie ist ganz hypoton, völlig teilnahmslos und scheint nicht mehr viel von ihrer Umgebung mitzukriegen.

Heute ist Chemo in Stuttgart. Dr. B. hört ab und bemerkt, daß Viktorias Lunge verschleimt ist. Eine Röntgenaufnahme bleibt jedoch ohne Befund. Wir bekommen Salbubronch verschrieben, ein Schleimlöser.

Nach der Chemo sind wir wieder daheim. Plötzlich verschluckt Viktoria sich an etwas hochgewürgtem Essen ganz heftig. Danach klingt es, als bekäme sie kaum noch Luft. Sie röchelt beim Einatmen, atmet flach und schnell. Sie hustet kräftig, das löst aber ihr Problem nicht.

Angelika, die Krankenschwester, die heute zufällig mit in Stuttgart war, versucht es mit verschiedenen Lagerungen, doch es hilft nichts. Wir rufen bei Dr. M. an, die sich sofort bereit erklärt, in Kürze zu uns zu kommen.

Dr. M. hört Viktorias Lunge ab und stellt ebenfalls eine leichte Verschleimung fest, aber nichts, was dieses Röcheln erklären würde. Viktoria bekommt etwas Salbutamol (ein Schleimlöser) zum Inhalieren. Prompt löst sich auch etwas bei ihr und Viktorias Röcheln wird noch lauter. Angelika versucht, den Schleim mit einem fußbetriebenen Absauggerät durch die Nase abzusaugen. Dabei löst sich anscheinend ein richtig großer Propf und bleibt Viktoria im Hals stecken, sie bekommt kurzfristig gar keine Luft mehr. Die Schwester saugt schnell auch noch durch den Mund und Viktoria bekommt wieder Luft. Das hat ihre Atmung alerdings nochmals verschlechtert. Wir Eltern werden dieses Absauggerät garantiert nicht selbst alleine bedienen, das sah ziemlich gefährlich aus. Viktoria bekommt ein Zäpfchen Kortison, was auch abschwellend wirken soll. Dr. M. empfiehlt uns eindringlich, in die Klinik zu fahren. Wir sind dieser Idee auch nicht ganz abgeneigt, da sich Viktoria wirklich schlimm anhört. Also fahren wir halt und richten uns auf einige Übernachtungen dort ein.

In Pforzheim angekommen wird erstmal Blut genommen. Der CRP ist 1,85, also nur leicht erhöht, für die Indikation einer Antibiose zu wenig. Bezüglich Viktorias Atemproblemen kann uns die Ärztin auch nicht helfen. Es sei vermutlich ein Problem im Rachen. Die Atemwege sind eigentlich frei, die Bronchien pfeifen nicht, Kortikoide machen keinen Sinn. Die Sauerstoffsättigung ist prima.

Mama und Tochter bekommen ein Einzelzimmer auf der K3 – MRSE-Diagnose sei dank. Über Nacht wird Viktoria an eine Kochsalzinfusion gehängt, da sie einen sehr niedrigen Natriumwert hat. Der könnte vom Durchfall kommen. Sie erhält regelmäßig Inhalationen mit Adrenalin.

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Mittwoch, 20.6.2012

In der Nacht zu Dienstag bekommt Viktoria wieder Panikattacken. Die letzten waren vor genau (!) zwei Wochen! Das ist ja interessant… Auch tagsüber sehen wir welche. Viktoria ist sehr arm und zuwendungsbedürftig.

Sie hat Fieber! Morgens 38,3°C (axillar), tagsüber schwankend. Mama kriegt Panik! Auch die Hotzenplotz-Schwester findet Viktorias Zustand bedenklich. Viktoria hat noch immer eine ganz schlechte Atmung, schnell und röchelnd, das trägt zum Gesamtbild bei.

Es zeichnet sich immer deutlicher heraus: Viktoria ist immer montags bis mittwochs vor der Chemo sehr unleidlich. Früher haben wir das „Kortisonlaune“ genannt. Aber mittlerweile kriegt sie das Kortison drei Tage früher, und während dieser drei Tage ist sie recht friedlich. Wir haben schon mehrfach gescherzt: „Viktoria weiß noch nicht, daß sie das Kortison jetzt früher kriegt.“ Läßt das darauf schließen, daß Viktorias Unleidlichkeit nicht vom Kortison kommt?!

Am Mittwoch morgen ist das Fieber zwar wieder weg, Viktorias Verhalten jagt der Mama aber dennoch Angst ein. Sabine vom Hospiz kommt und sagt viele positive Dinge, um Ute zu beruhigen, aber es klappt nicht. Viktorias Atmung ist wieder leicht besser.

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Montag, 18.6.2012

Es geht Viktoria wieder etwas besser. Die Nacht war gut, das Frühstück klappt endlich mal wieder ganz gut trotz intensivem Gezappel.

Sie hat heute tagsüber eine wieder deutlich bessere Atmung. Erst gegen Abend röchelt sie wieder eine ganze Weile, als sie erneut einige Schlucke Mageninhalt heraufwürgt und sich verschluckt. Nachmittags wird die Sonde neu gelegt.

Die Blutwerte des Tages: Hb 9,1, Leukos 5200, Thrombos 550, Ferritin 33, il-2 3700. Der il-2 ist erneut sprunghaft angestiegen. Aber wir waren auch schonmal höher. Ist da doch wieder etwas im Busch?!

Das Baclofen wird von 10mg auf 7,5mg reduziert.

Viktoria hat nun nicht einfach nur Durchfall wie schon die letzten Tage (naja, so richtig fest war ihr Stuhl ja noch nie), sondern jetzt schließt sich ihre Muskulatur am After überhaupt nicht mehr. Sie drückt auch nicht mehr mit verzerrten Mundwinkeln, wie wir das bislang immer gesehen haben. Sie läuft quasi aus!

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Sonntag, 17.6.2012

Viktorias Atmung wird immer schlechter. Sie röchelt furchtbar und muß sich sichtlich anstrengen, um Luft zu bekommen.

Sie schläft gerade tagsüber nicht viel, kann auf dem Arm auch nur selten entspannen.

Samstag abend finden wir wieder etwas dunkelbraunen Mageninhalt. Sie muß zwar nicht erbrechen, würgt jedoch pausenlos. Sie ist total erschöpft vom Atmen.

Am Sonntag abend wird die Magensonde für die Nacht gezogen – schööön.

Der Kortisonpuls von Freitag bis Sonntag hat sich dieses mal fast überhaupt nicht bemerkbar gemacht.

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Freitag, 15.6.2012

Wir ziehen mit der Sonde provisorisch immer mal wieder Mageninhalt ab, können aber keine braune Flüssigkeit mehr feststellen. Das Magenbluten scheint weg zu sein. Dennoch bleibt ihr Magen sehr nervös und wir müssen ganz behutsam mit Essen und Trinken sein.

Am Donnerstag ist nochmals Blutabnahme. Der Hb ist auf 8,3 gefallen. Das ist wirklich sehr niedrig aber noch nicht bedrohlich. Der Quick ist etwas schlechter, wir sollen vorsorglich einmalig Vitamin K geben.

Die Nächte sind gerade wieder schlechter. Viktoria ist oft wach, kann nur mit Körperkontakt schlafen. Sobald sie wach wird hat sie eine furchtbar schlechte Schnappatmung. Komischerweise legt die sich sofort wieder, wenn sie einschläft.

Viktoria ißt wieder selbständig, sie bekommt etwas Banane mit Erdbeere. Es geht ihr etwas besser, aber sie ist im allgemeinen total platt und schläft unglaublich viel. Auch das allabendliche Strampeln hat deutlich nachgelassen. Ihre Augenlider sind noch immer stark angeschwollen. Sie bekommt ihre Augen fast gar nicht mehr auf, das rechte ist stets ganz geschlossen.

Alle sehen wieder einmal überall Krampfanfälle bei Viktoria – das nervt langsam.

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Mittwoch 13.6.2012

Die Blutwerte vom Montag sehen ganz gut aus: il-2 1706, Ferritin 42, Hb 9,1, Leukos 4600, Thrombos 550.

Montag abends reduzieren wir das Baclofen von 12,5mg auf 10mg. Sie ist wirklich ganz locker.

Viktoria wirkt total erschöpft, es geht ihr nicht gut. Das sieht auch der Heiler am Dienstag, der meint, sie habe gerade eine richtig schwere Zeit.

Sie schläft tagsüber immer noch sehr viel, nur abends ist sie stets wach. Ihre Atmung ist sehr schlecht. Sie röchelt, würgt, gluckst und hustet extrem viel. Wir füttern sie erst einmal nicht mehr. Dienstag abend bekommt sie ein wenig Gemüsesuppe sondiert. Bereits nach zwei langsam verabreichten Spritzen muß sie sich schon wieder übergeben. Das Erbrochene ist wieder dunkelbraun. Ist das Blut?! Geronnenes Blut?! Wir ziehen noch etwas weitere braune Flüssigkeit aus dem Magen ab und bewahren sie zur weiteren Untersuchung auf.

Mittwoch morgen zeigen wir unserer Kinderärztin Dr. M. die Magenprobe und sie bestätigt uns, daß es sich um geronnenes Blut handelt. Viktoria hat also seit einigen Tagen Magenbluten. Kein Wunder, daß sie so oft erbrechen mußte. Sie bekommt vorläufig Nexium mups, einen Protonenpumpenhemmer zur Reduktion der Magensäure.

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Sonntag, 10.6.2012

Viktoria hat einen unglaublich nervösen Magen bekommen. Bereits seit einigen Tagen würgt sie ständig einzelne Schlucke an Essen hoch, wenn sie flach liegt. Ganz so, als bekäme sie Kortison! In aufrechter Position ist es zwar besser, aber auch nicht gut. Sie hat noch immer sehr dünnen Stuhl.

Das gipfelt am späten Freitag abend damit, daß sie – obwohl sie schon am Schlafen ist – ihr gesamtes Abendessen erbricht. Armes Bobbele… ob das von irgendeinem neuen Nahrungsergänzungsmittel verursacht wird?!

Wir haben die Juckbohne im Verdacht. Am Samstag morgen bekommt sie also nach ihrem Frühstück den Vitamin-Cocktail ohne Bohne. Unmittelbar danach erbricht sie erneut das gesamte Essen. Wir werden erstmal auf den ganzen Cocktail verzichten, irgendwas stimmt doch hier nicht.

Am Sonntag abend, über eine Stunde nach dem Essen und noch bevor sie ihre Medikamente bekommt, erbricht sie schon wieder. Das Erbrochene sieht seltsam aus, ganz braun und flüssig – wie Kaffee. Ihr Abendessen war rot (Spaghetti Bolognese) und so kurz darauf ist das noch nicht verdaut – wir haben da Erfahrung. Nachdem sie sich wieder beruhigt hat, ziehen wir nochmal 50ml braune Flüssigkeit aus dem Magen über die Sonde ab. Was ist denn das?! Auch ihr Stuhlgang ist heute immer noch ganz flüssig.

Glücklicherweise konnten wir ihr den Tag über gaaanz langsam genug Kamillentee einflößen, so daß sie trotz des Flüssigkeitsverlusts gut pieseln konnte.

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Donnerstag 7.6.2012

Viktoria zeigt wieder ein neues Verhalten. Sie bekommt richtige Panikattacken! Während 30-40 Sekunden reißt sie die Augen auf, soweit es geht, stößt panische Schreie aus und zappelt so stark sie kann! Es klingt ganz anders als alles, was wir bislang von ihr gehört haben. Auch nachts zeigt sie dieses Verhalten. Am folgenden Tag sehen wir es ebenfalls, aber nicht mehr so ausgeprägt – es sind keine markerschütternden Schreie mehr.

Wegen Fronleichnam ist bereits am Mittwoch Chemo in Stuttgart, die ohne Probleme verläuft.

Viktoria ist allgemein sehr locker, bewegt sich aber dennoch viel. Schon seit einiger Zeit hat sie die Augen die meiste Zeit über geschlossen. Wenn diese mal offen sind, dann nur zur Hälfte, das rechte noch weniger.

Es hat sich ein Rhythmus bei ihr eingependelt. Morgens gegen 4.00 – 5.00 Uhr wacht sie auf, schläft aber sofort weiter, wenn sie in den Arm genommen wird. Gegen 7.00 Uhr wird sie dann wieder wach und fängt an zu zappeln. Aber auch hier reicht ein kurzer Lagewechsel in den anderen Arm, und kurze Zeit später döst sie wieder. Danach schläft sie nicht mehr richtig. In immer kürzeren Abständen wird sie wach, zappelt kurz und döst dann wieder weiter. Gegen 8.00 Uhr, manchmal auch 8.30 Uhr ist dann endgültig Schluß und sie ist wach.

Nach dem Frühstück schläft sie jedoch schnell wieder und ist mit kurzen Unterbrechungen bis 13.00 Uhr, manchmal auch bis 15.00 Uhr am schlafen. Sie zu wecken ist aussichtslos, sie schläft immer sofort wieder ein. Nach dem wenig gut klappenden Mittagessen schläft sie wieder. Erst gegen 17.00 Uhr wird sie wirklich wach und strampelt und zappelt, als gäb’s kein Morgen mehr. Hier sind auch endlich mal ihre Augen richtig geöffnet. Abendessen geht meistens nicht, weil sie sich ständig verschluckt und auch keine richtigen Kaubewegungen mehr macht, also wird sondiert. Das Gezappel geht dann bis ca. 21.00 – 21.30 Uhr, dann wird sie langsam müde und schläft ein. Man kann sie dann auch problemlos ins Bett legen, ohne daß sie richtig wach wird.

Ihr Pilz ist zu Beginn der Woche bereits deutlich zurückgegangen und ab Donnerstag nicht mehr zu sehen.

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Sonntag, 3.6.2012

Das Frühstück am Samstag klappt nur mäßig, aber es geht. Dann plötzlich erbricht Viktoria das gesamte Essen! Oh je. Scheinbar ist ihr richtig schlecht.

Danach schläft sie ein und schläft und schläft und schläft. Ab und zu wird sie mal kurz wach, beim Wickeln kommt sogar das Kortisongebrüll kurz durch, aber wirklich nur ganz kurz. Danach schläft sie wieder. Fast den ganzen Tag.

Auch am Sonntag schläft sie sehr, sehr viel. Essen geht trotzdem gut.

Der Pilz im Mund scheint etwas rückläufig zu sein. Uns fällt auf, daß sie überhaupt nicht mehr zuckt! Das hat die letzten Tage über immer mehr abgenommen und heute können wir es überhaupt nicht mehr beobachten.

Sie hat Durchfall.

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Freitag, 1.6.2012

Viktoria ist wieder deutlich schlechter drauf. Es wird wieder mehr gemeckert. Sie atmet oft schlecht, röchelt und hat gelegentlich Schnappatmung. Gerade ab dem Mittagessen verschluckt sie sich ständig. Wir sondieren wieder.

Ihre Augenlider sind noch stärker angeschwollen, vor allem das rechte. Sie muß sich sichtlich anstrengen, damit sie die Augen aufbekommt, zieht dabei die Augenbrauen nach oben. Meist hält sie ihre Augen geschlossen.

Die Ergotherapeutin erklärt uns, daß wir nicht wollen, daß Viktoria tagsüber schläft, und daß wir Viktoria auch nicht ständig auf dem Arm haben wollen.

Die Zahnfleischwucherungen in ihrem Mund sind mittlerweile wirklich sehr heftig. Praktisch alle Zähne sind soweit umwachsen, daß sie ihre natürliche Funktion nicht mehr ausüben können. Da Viktoria zur Zeit sowieso nichts zerkauen kann, ist das aber ein untergeordnetes Problem.

Am Freitag kommt es mehrmals hintereinander vor, daß die Oma nach Viktoria ruft und sie daraufhin in die richtige Richtung schaut!

Auch Blutabnahme ist am Freitag. Die Werte sind endlich wieder etwas besser: Der il-2 ist auf 1800 gefallen, das Ferritin auf 45. Hb 8,8, Leukos 3700, Thrombos 401000. Der CRP ist mit 2,4 wieder negativ (je nachdem, welchen Arzt man fragt; für manche muß der CRP <0,5 sein). Natrium und Magnesium sind sehr niedrig, das sollen wir erhöhen. Viktoria hat einen weißlichen Belag im Mund, der sich deutlich ausbreitet. Es scheint ein Pilz zu sein. Wir kommen darauf, daß die Pizza, die Papa extra für Viktoria gebastelt hat, zwar gluten- und kaseinfrei war, aber nicht ohne Hefe! Ob das der Hefepilz ist, der sich gerade in Viktorias Mund austobt?! Wir geben ihr erstmal keine Speisen mit Hefe mehr... Viktoria bekommt nun mehrmals täglich Ampho-Moronal (ein Antimykotikum) und Propolis im Wechsel in den Mund. Letzteres schmeckt ihr überhaupt nicht. Propolis ist auch sehr bitter.

Ab heute bekommt sie wieder für drei Tage Kortison.

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Mittwoch, 30.5.2012

Irgendwie fällt uns Viktorias Schlaf-Wach-Rhythmus in letzter Zeit auf: Sie ist morgens von 5 bis 9 wach, und nachmittags auch von 5 bis 9. Das ist fast schon ein perfekter 12-Stunden-Rhythmus. Wenn das wirklich so ist, könnte das von den Medikamenten kommen? Die kriegt sie ja auch immer gegen halb 9 alle 12 Stunden.

Viktorias rechtes Auge ist noch immer stark geschwollen, sie bekommt es fast nicht auf. Mit dem Essen klappt es morgens meist noch gut, mittags dann weniger und abends gar nicht mehr. Sie hat Probleme mit dem Schlucken, ringt nach Luft und röchelt. Das geht schon eine ganze Weile so, ist nun aber so heftig, daß es sie beim Essen sichtlich beeinträchtigt.

Am Montag ist aufgrund des Feiertags keine Blutabnahme. Wir beginnen stattdessen mit der Nosodentherapie. Man muß sich das wie eine Art homöopathische Impfung vorstellen. Sie bekommt Globuli gegen die HLH selbst, gegen die Spinalanästhesie bei der Geburt und gegen die Sechsfach-Impfung. Bei den beiden letzten handelt es sich um Gifte, die ausgeschwemmt werden sollen. Bei ersterem geht es darum, das bei Viktoria defekte Gen abzuschalten, das die HLH auslöst. Daß man Gene an- und abschalten kann, ist der Epigenetik bekannt. Man weiß allerdings nicht genau, wodurch. Globuli als Informationsträger klingen hier vielversprechend.

Ab Mittwoch bekommt Viktoria außerdem noch einige Nahrungsergänzungsmittel, darunter einen Vitamin-Cocktail und Extrakte der Juckbohne. Letzteres soll den Dopaminspiegel (Neurotransmitter) erhöhen und Viktoria dadurch wacher machen.

Ihre Zuckungen sind zwar noch einzeln vorhanden, aber bei weitem nicht mehr so stark wie früher. In der Vergangenheit war es oft so, daß die Zuckerei eine Woche nach der Chemo ihren Höhepunkt fand. Das ist diesmal überhaupt nicht so.

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Pfingstsonntag, 27.5.2012

Seit wir wieder daheim sind, ist Viktoria viel ruhiger – sie hat ihren Schalter wieder auf „friedlich“ gestellt. Sie ißt sehr ordentlich, macht aber den Mund immer noch nicht explizit auf. Und sie bewegt sich noch immer sehr viel. Vor allem abends wird gestrampelt und gezappelt, mit allem was sie hat.

Die Chemo am Donnerstag verläuft reibungslos.

Am Freitag dann ein richtiges Highlight: Nach der Osteopathie liegt Viktoria noch dort auf der Behandlungsliege und ist – wie so oft danach – völlig entspannt, aber sehr aufmerksam. Papa fällt das auf. Er macht Quatsch und bekommt von Viktoria ein wunderschönes Lachen geschenkt! Man hört ein „Hö… hööö… höööööö…“. Sie lacht ihm direkt ins Gesicht! Es gelingt nur einmal, aber es ist der seit langem schönste Moment im Leben von Viktorias Papa. Mama ist etwas neidisch, als sie abends davon erfährt.

Man kann Viktoria nun abends ohne viel Zutun auf dem Schoß zum Schlafen bringen und sie anschließend einfach in ihr Bettchen legen, ohne sich dazulegen zu müssen. Das gelingt am Donnerstag auch unserem Babysitter. Das ist so viel schöner als noch vor wenigen Wochen.

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Mittwoch, 23.5.2012

Auf der Heimfahrt schläft Viktoria meistens, wenn auch nicht ganz so fest wie auf der Hinfahrt.

Viktoria ist heute sehr beweglich. Es wird gestrampelt mit allem, was der Körper hergibt: Beine, Arme, Kopf, sogar der Rumpf wackelt. Und überhaupt, der Kopf dreht sich ständig in alle Richtungen. Sie ist auch endlich mal wieder richtig aufmerksam. Ute läuft mehrmals an ihr vorbei, und jedesmal dreht sie den Kopf und schaut ihrer Mama hinterher. Ob das mit der Überdruckkammer oder dem Neuro-Feedback zusammenhängt?!

Frühstück und Mittagessen klappen sehr gut. Nach dem Mittagessen ist sie sehr müde, kann aber nicht mehr schlafen. Stattdessen wieder Geschrei. Erst abends zur Bettgehzeit schläft sie schließlich ein.

Wir werden den Ratschlag von Frau S. beherzigen und Viktorias Ernährung auf gluten- und kaseinfreie Kost umstellen. Freilich ist das mit mehr Aufwand verbunden, wenn Mama und Papa nicht auch auf Gluten und Kasein im Mittagessen verzichten wollen. Aber einen Versuch ist es wert. Und Frühstück und Abendessen bekommt Viktoria sowieso extra gemixt. Dafür ist es kein Mehraufwand. Wir finden glutenfreies Müsli, glutenfreies Mehl und einen dicklichen Sojamilchdrink als Ersatz für Joghurt und Kuhmilch. Mit letzterem kann man auch ganz gut den Schmand im Essen ersetzen.

Unseren Medikamentenschrank müssen wir auch anpassen. Die Schüsslersalze beinhalten Weizenstärke und müssen ersetzt werden. Viele weitere Medikamente enthalten Lactose. Das ist zwar kein Kasein, aber produktionstechnisch läßt sich der Milchzucker nie hundertprozentig vom Milcheiweiß trennen, so daß immer noch Spuren davon vorhanden sein können. Für alle Medikamente und Mittelchen finden wir Ersatz – bis auf das Luminal. Es gibt auch keine Generika davon – da hat wohl der Hersteller die Hand drauf. Aber so geringe Spuren sollten Viktoria eigentlich nichts ausmachen.

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Dienstag, 22.5.2012

Wir hatten schon schlechtere Nächte. Viktoria war zwar zweimal wach und hat sofort angefangen zu schreien, ließ sich jedoch schnell wieder beruhigen. Dennoch ist sie auch heute während des Frühstücks eher motzig. Danach wird geschlafen und auch unseren kurzen aber schönen Ausflug zum Wendelstein (nein, wir waren nicht ganz oben) verschläft sie.

Nachmittags haben wir den nächsten Termin bei Frau S. Sie hängt Viktoria an ein EEG-Neuro-Feedback. Viktoria läßt das kalt, sie döst wieder ein und reagiert wenig bis gar nicht auf das ganze. Die Kurven sind überraschend positiv. „Sie sind dort, wo sie hingehören.“ Wenn auch noch etwas schwach. Viktoria kann sehr viel wahrnehmen, und wenn sie sich bewegt, dann geht die Bewegung „bis ins Gehirn“. Das ist nicht selbstverständlich bei Hirnverletzungen. Durch regelmäßige Neuro-Feedback-Sitzungen könnte Viktoria sehr gut geholfen werden. Wir werden versuchen, bei uns daheim einen Therapeuten in der Nähe zu finden, der über ein solches Gerät verfügt.

Anschließend probieren wir die Überdruckkammer von Frau S. aus, natürlich ohne zusätzlichen Sauerstoff (kann bei Cerebralparesen toxisch wirken), und natürlich mit dem Papa zusammen. Bei einem leicht erhöhten Luftdruck von 1,3 bar (≅ 3m Tauchtiefe) erhöht sich die Sauerstoffversorgung des Gehirns. Viktoria verträgt den Druckunterschied sehr gut, sie scheint nicht drauf zu reagieren. Ob die Überdruckkammer etwas bringt, wird man sehen. Das merkt man nicht unbedingt gleich beim ersten mal. Um das daheim fortzuführen, bräuchten wir aber jemanden mit so einer Kammer in unserer Nähe. Falls sich da niemand findet, bleibt einem nur die Eigenanschaffung, die aber mit € 5000,- aufwärts heftig ins Geld geht. Informieren kann man sich hier (danke Ruth!).

Frau S. empfiehlt uns außerdem Audiva, einen Hörwahrnehmungstrainer. Zunächst soll er Viktoria beim entspannen helfen, später könnte man damit noch viel mehr tolle Sachen machen. In der Praxis probieren wir das auch gleich aus, da Viktoria nach dem Aufwachen wieder total unleidlich ist. Sie bekommt den Kopfhörer auf und zusammen mit einer Portion Brei bringt sie das tatsächlich zur Besänftigung.

Wir bekommen einen enormen Therapieplan und jede Menge homöopathische Mittel und Nahrungsergänzungsmittel mit nach Hause. Die Therapeutin hat das Konzept extra für Viktoria ausgearbeitet. Einige Übungen passen allerdings nicht zu Viktorias Zustand.

Der Rest des Tages ist wieder extrem anstrengend. Auch die Nacht hindurch schreit sie sehr viel. Die Bewohner des Nachbarzimmers in unserer Pension können einem schon Leid tun.

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Montag, 21.5.2012

Nach der morgendlichen Blutentnahme machen wir uns auf ins tiefe Bayern zu einer auf neurologische Probleme spezialisierten Kindertherapeutin. Wir werden dort einige Tage verbringen. Die Fahrt verläuft absolut problemlos, Viktoria schläft wie geplant beinahe durchgehend.

Die Therapeutin Frau S. macht einen sehr engagierten Eindruck, ist positiv von Viktorias Zustand überrascht (der Arztbrief liest sich viel schlimmer als es um Viktoria tatsächlich steht) und meint, daß da noch alles möglich sei. So was wollen wir hören! Sie macht eine Haaranalyse und erzählt von vielen Giften in Viktorias Körper, von denen unsere Kleine nicht imstande sei, sie selbst auszuschwemmen. Da könne mit einer Nosodentherapie geholfen werden. Außerdem wäre es sinnvoll, auf eine gluten- und kaseinfreie Ernährung umzustellen. Bei hirngeschädigten Kindern kommt es wohl oft vor, daß diese Stoffe nicht vollständig verdaut werden können. Die übrigbleibenden Exorphine hätten dann auf das Gehirn eine Opioid-artige Wirkung. Das zusammen mit den vielen Medikamenten, die sie bekommt, würde ihre Entwicklung dramatisch verzögern. Allen voran seien die Antiepileptika zu nennen, da diese das Bewußtsein trübten.

Frau S. schlägt kleinere Etappenziele vor. Zunächst sollten wir uns auf Viktorias Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme konzentrieren, sowie auf das Ziel, ihre Krampfmedikamente loszuwerden. Danach könne man sich weitere Ziele stecken, da dann die „Handbremse“ für ihre Entwicklung gelöst sei. Wir sind völlig ihrer Meinung. Allerdings versuchen wir ja genau diese Ziele schon seit Monaten zu erreichen – mit recht bescheidenem Erfolg. Daher können wir uns noch nicht so recht vorstellen, wie das gehen soll. Wir machen für morgen einen Folgetermin aus, bis dahin will sie die Analyse komplett haben und uns ihren Plan präsentieren. Wir sind gespannt.

Viktoria hat wie immer tagsüber viel geschlafen und wenig gegessen. Sie spuckt auch immer noch viel. Abends ist sie nur noch am Brüllen, sie ist nicht zu beruhigen. Ob das an der fremden Umgebung liegt?

Wir bekommen telefonisch die aktuellen Blutwerte mitgeteilt. Der il-2 ist schon wieder gestiegen, wir liegen jetzt bei 3200. Nicht gut. Dafür ist das Ferritin wieder auf Normalwert runter.

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Sonntag, 20.5.2012

Die guten Nächte sind leider wieder vorbei. Viktoria ist oft wach und jammert. Sie kann oftmals nur auf einem elterlichen Arm liegend dösen – richtig schlafen geht gerade nur noch selten. Auch abends kann sie nicht mehr einschlafen. Sie döst nur, auch wenn wir sie ins Bett bringen.

Die montägliche Blutentnahme enthüllt einen mit 2600 fast gleich gebliebenen il-2. Leider ist das Ferritin leicht angestiegen.

Viktorias Zahnfleisch hat sich noch weiter ausgedehnt. Mittlerweile muß man schon von Wucherungen sprechen, so groß sind die Auswölbungen. Wenn das so weitergeht, ist das Zahnfleisch bald höher als ihre Zähne.

Den ersten Teil der Woche hat Viktoria ihren Schalter wieder auf „friedlich“ umgelegt. Diese Tage sind seit langem mal wieder sehr ruhig und entspannt. Sie ißt gut. Auch beim Ausflug zum Heiler ist sie einigermaßen friedlich, ganz anders als noch einige Wochen zuvor.

Doch schon ab Donnerstag ist sie tagsüber wieder total angespannt, kann fast gar nichts essen. Sie überstreckt ständig ihren Kopf, stöhnt, jammert, schreit. Ab und zu kann sie etwas entspannen, was sofort dazu führt, daß sie einschläft. Es heißt also wie schon so oft: Schreien oder schlafen. Das Abendessen sondieren wir gerade immer.

Wenigstens verleiht Viktoria ihrem Bewegungsdrang gehörig Ausdruck. Sie strampelt wie ein Weltmeister, kommt häufig dabei ins Schwitzen. Oft auch während des Essens.

Von Freitag bis Sonntag ist wieder Kortisonpuls – prompt spuckt sie auch wieder sehr viel.

Das Highlight diese Woche: In der „Aufstützhaltung“ (man liegt schräg auf dem Sofa, hält Viktoria Bauch an Bauch und bockt ihre Arme auf, so daß sie selbständig ihren Kopf hält) entspannt sie recht schnell und wird müde. Auch ein anschließendes Wickeln und Zähne putzen kann sie nicht mehr aus der Ruhe bringen. Sie schläft von alleine ein. Huch! Und das unter Kortison! Erstaunlich.

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